MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #3

05_Gestänge_optimiert Es war einfach unvorstellbar, was sich in der Kristallhalle alles tat. An allen Ecken wuselte es vor Arbeitern und eine Heerschar von Sklaven, kommandiert und ausgepeitscht von geldgierigen Sklaventreibern in Anzug und Krawatte, war damit beschäftigt, Tribünen und gewaltige Bühnenkonstruktionen, ganze Container voller Lautsprecher und Equipment und natürlich die Wohnmobile der KünstlerInnen unter verschwitztem Ächzen und Stöhnen von einem Ende der Halle ans andere zu karren. Es kam uns allen so vor, als wäre ganz Baku damit beschäftigt gewesen, für das bevorstehende Event, das dem ganzen Land schlagartig aus der grassierenden Arbeitslosigkeit zu verhelfen schien, die Welt auf den Kopf zu stellen und das Unmögliche möglich zu machen. Ähnliches hatten auch wir geschafft, als wir am frühen Nachmittag die 3 Meter hohe Absperrmauer rund um das Gebiet, mithilfe einer Räuberleiter, deren Erfindung man einem ganz gewieften Azerbaijaner zusprach, überwunden hatten. Angelina, die nunmehr das fünfte Rad an unserem noch vollständigen Wagen verkörperte, wurde von den Sicherheitsleuten sofort erkannt und so hatte man uns, zu unserer eigenen Sicherheit wie es hieß, gefesselt und in Jutesäcke gestopft, in die Halle und dann in die appartementgroße Loge von Madame Jolie, oder Angie, wie wir sie nennen durften, gebracht.

Und hier saßen wir nun, in dem Luxus, den ich gewohnt war und den Willi sich in seinem vormaligen, wellblechüberdachten Drecksloch von Behausung neben dem Atomkraftwerk, dass sein Dorf verdrängt hatte, nie hätte erträumen können und genossen Kaviar und kleine Leckerbissen vom Buffet, das man vor uns aufgebaut hatte, während wir das wilde Treiben, der von hieraus ameisengroßen Wichtel, tief unten am Boden der Halle beobachteten. Angie, die großes Mitleid für Willi fühlte, hatte 50 Flaschen des teuersten Veuve Clicquot der Welt einfliegen lassen und ein livrierter Diener goss den Champagner geduldig Flasche für Flasche in eine riesige Badewanne, in der sich der kleine Stinker dann von all dem Schmutz und den schweren Schicksalsschlägen seiner bisherigen Kindheit reinwaschen durfte. Überhaupt spielte man, wie man so schön sagt, alle Stückeln für uns und als mich Henry,  dem seine kürzlich eingefangene Magendarmgrippe nach wie vor fürchterliche Schmerzen bereitete, endlich satt und zufrieden auf eines der King Size Himmelbetten in der Loge gelegt hatte, überkam mich der Wunsch, mir das Gewusel der Sklaven in der Halle genauer anzuschauen. Ich ließ meinem braven Butler einen Thermophor bringen und ihn an meiner statt in der sagenhaft großen Bettstadt zur Ruhe kommen, damit auch er sich einmal von all den Anstrengungen erholen konnte und orderte für mich und Karlheinz eine vergoldete Sänfte und vier muskulöse Träger, die uns hinunter zum Ort des Geschehens bringen sollten.

Es führte nur ein einziger sehr steiniger und stufenreicher Weg abwärts und da die, als Tagelöhner getarnten, Langfinger keine ausgebildeten Sänftenträger waren, passierte es hin und wieder, dass unser Gefährt kippte, wir beide hinauskullerten und auf dem harten, kalten Boden zu liegen kamen. Bei einem dieser Missgeschicke hatte ich das unverhoffte Glück, einen Blick in eine der anderen Logen werfen zu können und erspähte darin Wladimir Wladimirowitsch Putin und die anderen Staatsüberhäupter all jener Länder, die ins Finale des Songcontest gekommen waren, wie sie teils gemütlich, teils angespannt um einen großen Konferenztisch herumsaßen, auf dem ein riesiges Minopoly Spielbrett lag. Wladimir war gerade aufgesprungen und schrie in seltsam reinem Deutsch, er wäre nicht bereit, noch mehr Geld zu zahlen, um den russischen Teilnehmerinnen, seinen sechs Großmüttern, den Sieg zu ermöglichen. Schließlich hätte er schon fast das ganze Event durch seine Spenden finanziert und könne nicht noch mehr Steuergelder veruntreuen. Doch erst als wir wieder in die Sänfte zurück geklettert und schon fast unten angekommen waren, fiel mir auf, dass auf dem Tisch kein Spielgeld, sondern nur echte Scheine und Münzen gelegen hatten und die Spielfiguren kleine bronzene Miniaturen der echten KandidatInnen darstellten. Karlheinz hatte mir in der Zwischenzeit erzählt, dass die GewinnerInnen des Songcontest schon viele Jahre vor dem eigentlichen Ereignis feststünden und danach ausgesucht wurden, welches Land bei dem Spiel mehr Scheine auf den Tisch legte. Weiters hatte scheinbar der schwedische König aufgrund seiner Geldnot schon überlegt, seinen neugeborenen Nachkommen als Einsatz in die Runde zu werfen, als die anderen Staatschefs ihm aus Mitleid den Sieg zusprachen.

Knappe 200 Meter unter der Überdachung der gigantischen Veranstaltungshalle waren wir nun, an Knien und Ellbogen zerschunden, mitten im Getümmel und wurden durch den Sud der raunenden Sklavenarbeiter getragen, die mühselig alle Gerätschaften auf Baumstämmen durch die Gegend rollten, da es für die horizontale Bewegung großer Lasten hierzulande sichtlich noch keine andere Technik gab.  Und als ich meinen Blick gelangweilt umherschweifen ließ, entdeckte ich einen Tatbestand, der mir insgeheim und intuitiv schon seit unserer Ankunft in Azerbaijan in gewisser Weise klar gewesen war. Denn nicht aus reinem Zufall hatte uns das Schicksal auf diesen05_GelbeLichter_optimiert unwirtlichen Pfaden bis hierher geführt. Schweren Herzens musste ich feststellen, dass große Teile der Hallenkonstruktion aus den Rahmengestellen meiner 216 verschwundenen Fahrräder gebaut worden waren. Auseinandergeschnitten und wieder zusammengeschweißt, fast unkenntlich, doch für mich, dem jedes dieser Räder einem zu behütenden Kind glich, unverkennbar die meinigen. Ich sah hie und da noch einen gelben Reflektor durch das Gestänge blitzen und unter dem unsäglichen Schmerz ob des Wiedersehens mit meinen zweckentfremdeten Gäulen fast zusammenbrechend, ließ ich uns wieder in die Loge zurücktragen.

Auf halbem Weg zurück nach oben zu den Reichen und Schönen kamen uns Angie, die Willi im Arm trug und Henry, der mit schmerzverzerrtem Gesicht hinterdrein humpelte, entgegen. Der kleine Willi lachte und freute sich zum ersten Mal, seit ich ihn mir auf der minengespickten Landstraße vor Baku ausgesucht und mitgenommen hatte und roch kilometerweit gegen den Wind nach teurem Champagner und Angie, die von dem dürren Gestell in ihren Armen ganz verzückt war, erklärte mir, dass sie bei dem Anblick des Häufchen Elends nicht anders gekonnt hatte, als meinen jetzigen Adoptivsohn und Schützling in ihre Familie umzuadoptieren. Sie schilderte mir das äußerst gefühlvoll und betonte mehrmals, dass sie einfach ein zu großes Herz habe und zu gütig sei und da war es dann so weit, dass ich unter all der Trauer um meine Räder und jetzt auch dem Verlust meines eigenen kleinen Azerbaijaners unter Heulkrämpfen zusammenbrach und ohnmächtig wurde.

Viele Tage später wachte ich in der wohlbekannten Heimat, in meinem eigenen Himmelbett wieder auf, als Henry ein großes Tableau mit Frühstück hereinbrachte und vorsichtig die schweren, purpurroten Samtvorhänge vor den Fenstern zur Seite zog. Mein guter Freund und Leibdiener hatte es nach meinem Zusammenbruch nicht mehr ertragen, mich noch weiter in diesem widerlichen Land verkommen zu sehen und hatte eine Karawane von Kameltreibern ausfindig gemacht, mit der er mich zurück in mein liebes Mitteleuropa hatte bringen lassen. Tatsächlich roch ich auch noch ein bisschen nach Kamel, obwohl mich Henry schon mehrmals geduscht und mit dem Kärcher gereinigt hatte, doch hatte ich so bei mir die Vermutung, dass mir dieser Geruch für ewig bleiben würde, quasi als Warnung, nie wieder nach Azerbaijan, ins Land der tausend Diebe, zurückzukehren.

MEIN FERNSEHER UND ICH

02_Fernseher_optimiertGestern habe ich endlich wieder einmal ferngeschaut. Ich wusste am Abend einfach nichts Besseres zu tun und als ich so im Wohnzimmer am Eisbärenfell vorm Kamin stand und gelangweilt vor mich hinüberlegte, ob ich lieber den 1734 oder den 1492 Portwein knacken sollte, da schob sich das Fernsehgerät in mein Blickfeld. Obwohl es ohnehin nicht leicht zu übersehen ist, denn mit einer diagonalen Spannweite von 27 Metern füllt es doch knapp eine ganze Zimmerwand aus. Und da ich zur Abwechslung einmal nicht auf ein Charity-Event, eine Gala, einen Ball oder anderes VIP-Getümmel eingeladen war, ließ ich mir von Henry die Fernbedienung am Silbertableau bringen und hievte meinen fetten Arsch mit einem gekonnten Hechtsprung auf das B&B Italia Sofa. Henry, mein Haushälter und Butler, war so freundlich das Gerät auch gleich einzuschalten und mir dann die Füße zu massieren. Was täte ich nur ohne Henry?

Nun ist es aber nicht ganz ohne Grund, dass ich so lange dem Flimmerkasten abgeschworen hatte: Vor mehreren Monaten nämlich, es war ein Sonntag und so gegen Mittag, läuteten auf einmal zwei Herren im Anzug bei mir zu Hause an. Sie hatten ein kleines Büchlein bei sich, in dem wohl wichtige Worte geschrieben standen und auf ihr höfliches Bitten hin, ließ Henry sie eintreten. Ich war noch im Morgenmantel und empfing sie im Vorraum auf der Chaiselongue Edwards. Bei Jasmintee und Blaubeerkuchen erklärten sie mir dann, dass ich unbedingt allem Schlechten abschwören müsse – so auch dem Fernsehen. Denn im Fernseher, da wohne der Teufel. Viel mehr noch sei der Apparat, so argumentierten sie fachlich und logisch, ein Werkzeug des Teufels, das ausschließlich zur Manipulation der Menschheit diene. Des Weiteren dürfe ich, beim Akt und auch so im Alltag, keine Kondome mehr tragen und müsse ihrem Verein viel Geld spenden.

Nun haben die Spendenchecks meinem wohlgenährten Börserl nichts ausgemacht, doch die vielen Abtreibungen, die ich all den 15-jährigen Mädels zahlen musste, die ich so dann und wann entjungfert und geschwängert hatte, waren nicht steuerlich absetzbar und so verwarf  ich die schnöden Glaubensätze, legte mir eine 100 Stück Packung hauchdünne Verhüterli zu und erlaubte es mir, wieder mal zu glotzen bis der Arzt kommt. Und wie ich so durch die Kanäle zappe und nicht recht ein passables Programm zu finden ist, bleibe ich eben beim Fußball hängen und lasse mich von 22 durchtrainierten Körpern in farbigen Kostümen und einem runden, bunt bemalten Ball begeistern. Was den Römern Brot und Spiele waren, das ist dem Wiener Bier und Fußball, so sinniere ich vor mich hin, als plötzlich eine Sturzszene immer und immer wieder gezeigt wird. Und wie ich mir noch überlege, was denn während der Wiederholungen tatsächlich am Spielfeld passiert und ob die Kicker sich währenddessen vielleicht ein Kebab kaufen gehen oder eine Tschick anrauchen, bemerke ich plötzlich, dass sich die Sportler in Balletttänzer und das Stadion in die Wiener Staatsoper verwandelt haben. Nicht ein Fußballmatch, sondern die Wiederholung der Live-Übertragung des Opernballs 2009 hat man mir vorgesetzt. Und das brauche ich nun wirklich nicht.

Also lasse ich Henry den Sender wechseln und bin dann bei der Live-Übertragung des 40. Life-Balls vor dem neuen Wiener Rathaus. Die Ansprache des frisch geouteten Bürgermeister-Kanzler Strachèe ist schon vorüber, als Gery Keszler in seinem schwebenden Hover-Rollstuhl auf die Bühne saust, um den Crystal-Meth Award ein paar abgemagerten Models zu verleihen. Die glücklichen Gewinnerinnen machen einen Stagedive in die tobende Menge und zerbrechen dabei in tausend Scherben. Doch auf der Bühne geht’s schon weiter und Michael Jackson wird von zwei Bühnenarbeitern in einem gläsernen Sarg auf die Bühne getragen und neben dem Mikrofon postiert. Mühevoll zerren sie seinen Kadaver aus dem Glaskasten und vom einen Ende der Bühne ans andere, wobei die Puppenspieler auf den Schnürböden ihr Übriges tun, um dem toten Popstar noch ein paar hippe Moves zu entlocken. Als die Playback-Version von They Don’t Care About Us dann fertig abgespielt und die zerfledderte Leiche von Michael wieder zusammengekehrt ist, zeigt man die Modenschau des ersten blinden Designers der Welt. Die Kleidungsstücke sind den Umständen entsprechend hässlich, doch Gery Keszler verleiht auch ihm einen Award. Und als der blinde Designer, mit der schicken Sonnenbrille auf der Nase, die Bühne verlassen will, stürzt er über den liegen gelassenen Glitzerhandschuh des King of Pop und fällt in den Orchestergraben, wo er im Mundstück einer Tuba landet und darin verschwindet. Gery Keszler will ihm gerade noch nachfliegen und ihn retten, da saugt sein Hoverstuhl den Handschuh ein und es gibt eine riesige Explosion…

In dem Moment wache ich schweiß- und blutgebadet auf dem Sofa auf. Alles nur ein Alptraum, vermutlich von den Teufeln im Fernseher heraufbeschworen. Henry, von meinen verzweifelten Schreien im Schlaf geweckt, eilt herbei und sieht das Schlamassel. Und es stellt sich heraus, dass ich mir zwar verkrampft auf die Lippen gebissen hatte, die roten Flecken auf meinem Morgenmantel aber vom verschütteten Portwein herrührten. Zu müde zum Gehen, schultert er mich und trägt mich hinauf in den ersten Stock ins Badezimmer, wo er mir die Zähne putzt und mein schütteres Haupthaar durchkämmt. Dann legt er mich behutsam in die weichen Federn meines Himmelbettes und singt mir ein beruhigendes Schlaflied.