MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #2

04_Betonwand_optimiertAm darauffolgenden Tag, ganz früh am Morgen, weckte uns einer der Arbeiter in der Fabrik. Er stellte sich uns namentlich vor, doch gelang es keinem von uns, sich den Namen zu merken, geschweige denn, ihn auch nur anzuhören oder auszusprechen. Denn wie beinahe alle azerbaijanischen Namen, war er furchtbar kompliziert, weder übersetzbar noch hörbar und man wusste nicht, ob es sich um Vor- oder Nachnamen handelte. Umso glücklicher war ich, dass ich Karlheinz an meiner Seite hatte. Viele der Namen, so wurde mir später erzählt, wurden in den hiesigen Gefängnissen als Folterwerkzeuge verwendet, mit dem Resultat, dass der- oder diejenige, der oder die das Unaussprechliche hören mussten, sofort aus den Ohren zu bluten und am ganzen Leib zu zittern begannen. Angeblich hatte es sogar einmal einen Namen gegeben, der derart widerwärtig gewesen war, dass alle Betroffenen wie Glas in kleine Scherben zersprangen, als sie ihn vernahmen und der auch in einem der zwei Irakkriege als Massenvernichtungswaffe zum Einsatz gekommen war. Freilich spuckte uns der Arbeiter auch an und so waren Henry und ich, von den vielen neuen Bekanntschaften, die wir machten, bald am ganzen Kopf und Oberkörper mit Speichel bedeckt.

Der Arbeiter bot an, uns durch die Fabrik zu führen und bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, dass in der Fabrik nicht nur gestohlene Autoteile zu neuen Fahrzeugen zusammengebaut wurden. Nein, auch Teile von Fahrrädern wurden manchmal in die neuen Vehikel geschweißt und dadurch erhielten die Fabrikate nicht nur einen gewissen Charme, sie wurden auch zu Einzelstücken mit garantiertem Seltenheitswert. Ob sie fahren konnten oder nicht war im Grunde egal (Räder hatten ohnehin nicht viele), denn die Kunstwerke, als die sie im ganzen Land verehrt wurden, ließ man entweder in Galerien in den reicheren Vierteln Bakus ausstellen oder aber sie wurden in den ärmeren Vierteln sofort „zerstohlen“, wie es auch uns mit dem Maybach passiert war. Und Letzteres führte zu einem unendlichen Kreislauf, der den Arbeitern der Fabrik schließlich ihren recht zwielichtigen Arbeitsplatz sicherte. Eigentlich war es auch nur ein Arbeiter, der momentan vor Ort war und keine Fabrik, sondern eher eine mittelprächtige Werkstatt von der Ansehnlichkeit eines Mobiklos, dennoch wurden wir am Ende der Führung von Selbigem gebeten, den Meister nicht weiter bei seiner Arbeit zu stören. Er wolle nun beginnen, die neu eingetroffenen Sitze des Maybach mit einem Haufen öliger, verrosteter Fahrradketten zu verlöten oder sie darum herum zu wickeln. Was auch immer dann noch in der kleinen Schöpfungsstätte vor sich ging, beim Verlassen dieses zauberhaften Ortes kam es mir so vor, als hätten einige dieser Ketten einst meinen Rädern zugehört.

Ich hatte meinen Platz auf Henrys Rücken wieder eingenommen und Willi, der bislang noch nicht viel gesagt hatte und aus dessen Zittern und Jammern man schlussfolgern konnte, dass er immer noch kurz vorm Hungertod stand, ließ sich weiterhin von Karlheinz durch die Gegend tragen. Also mussten wir schleunigst etwas Essbares auftreiben, denn auch wir anderen hatten seit mehr als 24 Stunden nichts gegessen, noch getrunken. Und Allah sei Dank, kamen wir auf unserem Weg, der bis dato noch kein weiteres Ziel hatte, an einem alt-azerbaijanischen Markt vorbei. Nun sind diese Märkte dafür bekannt, dass sie nicht sonderlich hygienisch sind und die meisten Produkte, sofern nicht Trockennahrung (und selbst die manchmal), schon eine etwas dickere Schimmelschicht angesetzt haben, doch dass sich Henry schon beim bloßen Vorübergehen an den Ständen eine Magendarmgrippe zuziehen würde, hatten selbst die toten, stinkenden Fische, die ungekühlt auf einem der Holztresen lagen, nicht wissen können. Und so vermieden wir Erwachsenen es, uns in diesem Drecksloch von Markt etwas zu essen zu kaufen, nur der kleine, abgemagerte Willi, mit seinem vom Hunger aufgedunsenen Bäuchlein, glubschte mit seinen großen Kulleraugen von einem Stand zum nächsten und so kaufte ich ihm mit meiner AMEX Black Card in der Trockennahrungsabteilung des Marktes ein durchgeweichtes Papiersäckchen voll Frolic Hundenahrung, die unter all den pilzbewachsenen Lebensmitteln noch am frischesten aussah. Und so bei mir dachte ich, ach wie gut, dass man egal wo man in Azerbaijan ist, mit Kreditkarte zahlen kann. Ein Vorteil, den man als Besitzer von mehr als 100 Karten nicht einmal bei uns in Österreich ausspielen kann.

Willi hatte sein Futter schon fast aufgefressen, als wir den Markt verließen und plötzlich ein schwarzer, gepanzerter Land Rover an uns vorbeirauschte, in dem offensichtlich Angelina Jolie saß. Es war wohl kein ganzer Geländewagen mehr, denn große Teile des Daches und der linke Hinterreifen fehlten schon und ein besonders diebischer Azerbaijaner, der sich an einem der Außenspiegel festgebissen hatte, machte sich gerade daran auch noch das linke Vorderrad abzumontieren. Und als Angelina, die offensichtlich alle Stunts als Lara Croft selbst gespielt hatte, das bemerkt hatte, machte sie aus sitzender Position einen dreifachen Rückwärtssalto aus dem fahrenden SUV und warf während des Sprungs eine ihrer Haarklammern nach dem Langfinger. Diese blieb gekonnt in seinem Rachen stecken und das hatte zur Folge, dass der Banause zu röcheln und husten begann und seine bislang sichere Position am Außenspiegel zwangsweise aufgeben musste. Ob es Angelina nun so geplant hatte, oder nicht, ist mir bis zum heutigen Tag nicht klar, doch der Azerbaijaner kullerte, bei dem Versuch sich anderswo am Auto festzuhalten unter den halb demontierten Vorderreifen, wurde überfahren und schaffte es dann doch noch sich hinten am Auspuff festzuhalten. Das raffinierte Bürschchen, das die Klammer nun wieder aus- und Henry ins Gesicht gespuckt hatte, wurde noch mehrere Meter weit von dem Land Rover mitgeschleift, der jedoch heftig ins Schleudern gekommen war, als er den Dieb überrollt hatte und letzten Endes in einer sehr massiven, 3 Meter hohen Betonwand direkt gegenüber dem Markt zu stehen kam. Es gab eine heftige Explosion und der Azerbaijaner, sowie die drei Bodyguards von Misses Jolie, die bis zu diesem Zeitpunkt noch im Wagen gesessen hatten und nun alle zu brennen begonnen hatten, liefen schreiend davon und waren nicht mehr gesehen.

Während des ganzen, nervenaufreibenden Vorfalls hatte ich dem kleinen Willi die Augen zugehalten, damit er die schrecklichen Bilder nicht sehen musste, doch als Angelina, deren schwarzes Abendkleid kein bisschen schmutzig geworden war, mit ihren gazellenhaften Beinen zu uns herüberstolziert kam, ließ ich auch ihn einen Blick auf die Schönheit werfen. Und auch Karlheinz, der so viel Gewalt zwar gewohnt war, es aber nicht ertragen konnte, Autos brennen zu sehen, hatte erst jetzt die Augen wieder geöffnet und Angelina zur Begrüßung freundlich ins Gesicht gespuckt. Die Schauspielerin, die mit den Umgangsweisen vor Ort scheinbar vertraut war, wischte sich mit einem Kaschmirtaschentuch, dass sie zwischen ihren Brüsten aufbewahrt hatte, den Sabber aus dem Gesicht und erwidert die Begrüßung und spuckte auch uns andere an und so taten auch wir es, die wir vom vielen Begrüßen schon eine ganz trockene Kehle hatten. Danach nahm ich Henry die Klammer aus dem Gesicht und gab sie ihr zurück und zum Dank lud sie uns ein, ihr zum Finale des Eurovision Songcontest zu folgen, der am selben Abend in der Kristallhalle stattfinden sollte, die sich gleich hinter der hohen Betonwand in den Himmel erhob.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #1

03_LandmineLetzte Woche ist mir wieder einmal mein Fahrrad gestohlen worden. Und nicht nur einmal. Und auch nicht nur Eines. Sondern gleich zwei Räder innerhalb weniger Minuten. Und daran bin natürlich nur ich selbst schuld, denn warum borge ich denn auch jedem dahergelaufenen Penner meinen Drahtesel, wenn er mich darum bittet? Vermutlich bin ich einfach ein viel zu gutmütiger Mensch, immer in dem Glauben, sie alle würden mir meine insgesamt schon 216 gestohlenen Fahrräder irgendwann wieder zurückbringen. Doch seit kurzem habe ich eine Lösung für meine stete Radlosigkeit. Ich trage nämlich immer ein Ersatzrad auf dem Rücken mit mir herum, was die Chance, ohne Rad dazustehen folgerichtig halbiert. Außerdem lasse ich alle meine Räder mit international verfolgbaren GPS-Geräten ausstatten, die von den gemeinen Fahrraddieben jedoch immer als erstes demontiert werden, obwohl sie ganz geschickt als Klingeln getarnt sind. Trotz allem wäre ich jetzt ganz ohne Fahrrad, hätte ich nicht vorgestern Abend noch den Anruf der Polizeiinspektion Langobardenstraße 128 erhalten. Die überaus kompetenten Wachleute hatten sich nämlich meiner Sache angenommen und eine heiße Spur gefunden, die zu einem Diebesnest in Azerbaijan führte.

Von den guten Neuigkeiten ganz außer mir, ließ ich mich von Henry zu meinem Privatflugplatz kutschieren und düste mit meinem Airbus A380 schnell mal nach Baku. Mein Reiseführer, ein Azerbaijaner mit langer, gut gepflegter Haarpracht und dem außergewöhnlichen Namen Karlheinz, machte uns vor Ort mit den gängigen Manieren und Verhaltensweisen vertraut. So, und das wusste ich zuvor natürlich nicht, gilt es in der Bevölkerung als Unart, ein angekettetes Fahrrad nicht zu stehlen. Der Ostländer verspürt nämlich von Geburt an den starken Drang, Ketten und überhaupt alle Dinge, die irgendwo festgemacht oder im Besitz einer anderen Person sind, zu stehlen. So gibt es in Azerbaijan etwa eine regionale Zugverbindung, jedoch keine Gleise und Schienen mehr. Und man erzählt sich, dass das Auto des Präsidenten einmal so lange „auseinandergefladert“ wurde, bis nur noch die Bereifung da war, auf der er dann jeden Morgen, gleich einem Einrad, in die Arbeit fahren musste. Deshalb war auch die Landung mit dem Airbus etwas holprig gewesen, da der Asphalt der Landebahn und überhaupt der ganze Flugplatz gestohlen worden waren. Und die vielleicht kurioseste aller Geschichten: In Azerbaijan, dem verkehrten China, wie man es aufgrund dieses Brauches auch nennt, ist es per Gesetz Pflicht, sich bei der Begrüßung gegenseitig ins Gesicht zu spucken.

Man will es nicht glauben, aber auf der Fahrt von dem Wald, in dem wir gelandet waren zum besten 10* Hotel Bakus, haben uns so ein paar Fladeranten den ganzen Maybach gestohlen. Und das während wir fuhren. Die flinken Finger der Azerbaijaner nahmen sich als erstes die Karosserie vor und erst als sie bei einer Kreuzung den Motor auszubauen begannen, fiel mir auf, dass es in der Limousine etwas zugig geworden war und ließ Henry ein paar dieser wilden Eingeborenen mit ihren eigenen Giftpfeilen erschießen. Nichtsdestotrotz standen wir schon 100 Meter weiter ganz ohne fahrbaren Untersatz mitten in einem kleinen Dorf nur wenige Kilometer außerhalb Bakus. Henry traf zwei weitere Diebe bei ihrem Fluchtversuch mit den Giftpfeilen genau zwischen die Augen und so konnten wir sie verhören und sie fragen, ob sie wussten, wo meine Fahrräder waren, während sie langsam ihrem Tod entgegensiechten. Karlheinz, der für uns übersetzte, ließ mich wissen, dass die beiden eigentlich Musiker und nur für den Eurovision Songcontest nach Baku gereist waren, dort aber schon während der Vorausscheidung offensichtlich schlechteren Darbietungen Platz machen mussten und sich jetzt ihre Brötchen als Straßenmusikanten und mit dem Stehlen von Autos und Fahrrädern verdienten. Von meinem Fahrrad wussten sie jedoch nichts und so ließen wir sie in der Gosse liegen und machten uns auf den Weg in die Hauptstadt.

Als ich schon nach wenigen Minuten nicht mehr laufen konnte, nahm mich Henry Huckepack und Karlheinz begann ein azerbaijanisches Volkslied zu singen, um mich ein wenig aufzuheitern. Meine Stimmung war im Allgemeinen recht miserabel, da wir doch extra die Reise hierher unternommen hatten, um meine Fahrräder wieder zu finden, und sie wurde auch nicht besser als uns auf einer schmalen, mit Landminen gepflasterten Straße ein Haufen Kinder entgegen gelaufen kam, die uns um Essen anflehten. Immer wieder riefen sie „Trick or Treat“, bespuckten uns und sprangen an Henry und Karlheinz hoch und versuchten mit ihren kleinen abgemagerten Fingerchen auf sich aufmerksam zu machen und ab und zu stolperte auch eines von ihnen in eine der Minen und wurde unter ohrenbetäubendem Lärm in tausend Einzelteile zerfetzt und über die umliegenden Felder verteilt. Anfangs versuchte ich noch, das Gejammer zu überhören, doch irgendwann konnte auch ich dem Wahnsinn nicht mehr mit trockenen Augen entgegenblicken und mein Mitleid wurde letztendlich so groß, dass ich mich entschloss, zumindest einem der Fratzen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und nachdem es nicht ganz einfach war, aus dem Rudel von Knochen und Haut das ärmste der Kinder herauszusuchen, entschloss ich mich, abzuwarten, wer bis zum Ende durchhielt und nicht so blöd war, in einer der Landminen zu steigen.

Kurz vor den Toren Bakus kristallisierte sich dann schon langsam heraus, wer diesen kleinen, von mir ins Leben gerufenen, Contest gewinnen würde und tatschlich schaffte es einzig der kleine Junge, dem ich den Namen Willi gegeben hatte, zu überleben. Er war von Anfang an so eine Art Geheimfavorit für mich gewesen und so adoptierte ich ihn auf der Stelle und ließ ihn von Karlheinz bis in die große Hauptstadt tragen. In dem Viergespann kletterten wir noch in dieser Nacht über die Mauern der Stadt und fanden Unterschlupf in einer Fabrik, in der aus gestohlenen Autoteilen neue Autos gebastelt wurden. Dort fanden wir auch die Autositze meines Maybach wieder und verbrachten darauf den Rest der Nacht.

MEIN FERNSEHER UND ICH

02_Fernseher_optimiertGestern habe ich endlich wieder einmal ferngeschaut. Ich wusste am Abend einfach nichts Besseres zu tun und als ich so im Wohnzimmer am Eisbärenfell vorm Kamin stand und gelangweilt vor mich hinüberlegte, ob ich lieber den 1734 oder den 1492 Portwein knacken sollte, da schob sich das Fernsehgerät in mein Blickfeld. Obwohl es ohnehin nicht leicht zu übersehen ist, denn mit einer diagonalen Spannweite von 27 Metern füllt es doch knapp eine ganze Zimmerwand aus. Und da ich zur Abwechslung einmal nicht auf ein Charity-Event, eine Gala, einen Ball oder anderes VIP-Getümmel eingeladen war, ließ ich mir von Henry die Fernbedienung am Silbertableau bringen und hievte meinen fetten Arsch mit einem gekonnten Hechtsprung auf das B&B Italia Sofa. Henry, mein Haushälter und Butler, war so freundlich das Gerät auch gleich einzuschalten und mir dann die Füße zu massieren. Was täte ich nur ohne Henry?

Nun ist es aber nicht ganz ohne Grund, dass ich so lange dem Flimmerkasten abgeschworen hatte: Vor mehreren Monaten nämlich, es war ein Sonntag und so gegen Mittag, läuteten auf einmal zwei Herren im Anzug bei mir zu Hause an. Sie hatten ein kleines Büchlein bei sich, in dem wohl wichtige Worte geschrieben standen und auf ihr höfliches Bitten hin, ließ Henry sie eintreten. Ich war noch im Morgenmantel und empfing sie im Vorraum auf der Chaiselongue Edwards. Bei Jasmintee und Blaubeerkuchen erklärten sie mir dann, dass ich unbedingt allem Schlechten abschwören müsse – so auch dem Fernsehen. Denn im Fernseher, da wohne der Teufel. Viel mehr noch sei der Apparat, so argumentierten sie fachlich und logisch, ein Werkzeug des Teufels, das ausschließlich zur Manipulation der Menschheit diene. Des Weiteren dürfe ich, beim Akt und auch so im Alltag, keine Kondome mehr tragen und müsse ihrem Verein viel Geld spenden.

Nun haben die Spendenchecks meinem wohlgenährten Börserl nichts ausgemacht, doch die vielen Abtreibungen, die ich all den 15-jährigen Mädels zahlen musste, die ich so dann und wann entjungfert und geschwängert hatte, waren nicht steuerlich absetzbar und so verwarf  ich die schnöden Glaubensätze, legte mir eine 100 Stück Packung hauchdünne Verhüterli zu und erlaubte es mir, wieder mal zu glotzen bis der Arzt kommt. Und wie ich so durch die Kanäle zappe und nicht recht ein passables Programm zu finden ist, bleibe ich eben beim Fußball hängen und lasse mich von 22 durchtrainierten Körpern in farbigen Kostümen und einem runden, bunt bemalten Ball begeistern. Was den Römern Brot und Spiele waren, das ist dem Wiener Bier und Fußball, so sinniere ich vor mich hin, als plötzlich eine Sturzszene immer und immer wieder gezeigt wird. Und wie ich mir noch überlege, was denn während der Wiederholungen tatsächlich am Spielfeld passiert und ob die Kicker sich währenddessen vielleicht ein Kebab kaufen gehen oder eine Tschick anrauchen, bemerke ich plötzlich, dass sich die Sportler in Balletttänzer und das Stadion in die Wiener Staatsoper verwandelt haben. Nicht ein Fußballmatch, sondern die Wiederholung der Live-Übertragung des Opernballs 2009 hat man mir vorgesetzt. Und das brauche ich nun wirklich nicht.

Also lasse ich Henry den Sender wechseln und bin dann bei der Live-Übertragung des 40. Life-Balls vor dem neuen Wiener Rathaus. Die Ansprache des frisch geouteten Bürgermeister-Kanzler Strachèe ist schon vorüber, als Gery Keszler in seinem schwebenden Hover-Rollstuhl auf die Bühne saust, um den Crystal-Meth Award ein paar abgemagerten Models zu verleihen. Die glücklichen Gewinnerinnen machen einen Stagedive in die tobende Menge und zerbrechen dabei in tausend Scherben. Doch auf der Bühne geht’s schon weiter und Michael Jackson wird von zwei Bühnenarbeitern in einem gläsernen Sarg auf die Bühne getragen und neben dem Mikrofon postiert. Mühevoll zerren sie seinen Kadaver aus dem Glaskasten und vom einen Ende der Bühne ans andere, wobei die Puppenspieler auf den Schnürböden ihr Übriges tun, um dem toten Popstar noch ein paar hippe Moves zu entlocken. Als die Playback-Version von They Don’t Care About Us dann fertig abgespielt und die zerfledderte Leiche von Michael wieder zusammengekehrt ist, zeigt man die Modenschau des ersten blinden Designers der Welt. Die Kleidungsstücke sind den Umständen entsprechend hässlich, doch Gery Keszler verleiht auch ihm einen Award. Und als der blinde Designer, mit der schicken Sonnenbrille auf der Nase, die Bühne verlassen will, stürzt er über den liegen gelassenen Glitzerhandschuh des King of Pop und fällt in den Orchestergraben, wo er im Mundstück einer Tuba landet und darin verschwindet. Gery Keszler will ihm gerade noch nachfliegen und ihn retten, da saugt sein Hoverstuhl den Handschuh ein und es gibt eine riesige Explosion…

In dem Moment wache ich schweiß- und blutgebadet auf dem Sofa auf. Alles nur ein Alptraum, vermutlich von den Teufeln im Fernseher heraufbeschworen. Henry, von meinen verzweifelten Schreien im Schlaf geweckt, eilt herbei und sieht das Schlamassel. Und es stellt sich heraus, dass ich mir zwar verkrampft auf die Lippen gebissen hatte, die roten Flecken auf meinem Morgenmantel aber vom verschütteten Portwein herrührten. Zu müde zum Gehen, schultert er mich und trägt mich hinauf in den ersten Stock ins Badezimmer, wo er mir die Zähne putzt und mein schütteres Haupthaar durchkämmt. Dann legt er mich behutsam in die weichen Federn meines Himmelbettes und singt mir ein beruhigendes Schlaflied.

JUNG UND SPRITZIG

01_Pille

Ich fühl mich jetzt endlich wieder jung. Jung und spritzig. Und daran ist nicht einmal eine Hautcreme schuld. Ich muss mich gar nicht von oben bis unten einschmieren, damit sich mein alter Körper wieder straff und jung anfühlt. Es reicht, wenn ich jeden Tag drei Kapseln schlucke. So verspricht es die Pharmafirma auf dem Beipackzettel und im Fernsehen. Drei Kapseln am Tag und Sie fühlen Sich wie neugeboren, oder so ähnlich ging dieser Werbeslogan. Aber nicht, was Sie jetzt denken, nicht irgend so ein billiger Scheiß aus dem Fernsehen, aus so einer Dauerwerbesendung, in der sich drei verrunzelte alte Frauen gegenübersitzen und auf einem kleinen Verkaufstischchen in ihrer Mitte eine Packung Tabletten steht, die perfekt in Licht und Szene gesetzt wurde und deren Inhalt von allen Alterserscheinungen befreien soll. Wobei verrunzelt sind die ja meistens nicht. Für unser Publikum vor den Fernsehgeräten nur das Beste aus den Salons der plastischen Zauberchirurgen der Creme de la Creme. Tadaaaa, ein Wunder.

Nein, alles echt und von seriösen Firmen getestet und kontrolliert. Und die Werbung ist eine echte Fernsehwerbung. Also nicht so lang und übertrieben, dafür aber wirklich gut gemacht und außerdem hat es mir eine Freundin empfohlen, die es auch schon lange nimmt. Ein bisschen skeptisch war ich am Anfang dann nämlich doch noch. Aber sie hat mir bestätigt: Kein Hokuspokus, kein doppelter Boden. Ein echtes Heilmittel. Nicht einmal mit Rückgabegarantie. Warum? Ist doch klar! Das braucht so ein Medikament ja nicht. Und Sie bekommen auch nicht noch eine Packung gratis dazu, wenn Sie jetzt gleich anrufen. Die 27 Euro pro Kapsel muss es Ihnen schon wert sein, das medizinische Lifting. Schließlich muss niemand an Ihnen herumschnipseln. Es gibt keine Narben. Also wirklich gar keine Nachteile. Naja, kaum welche.

Jetzt bin ich nämlich drauf gekommen, dass die Kapseln in China von Koreanern erzeugt werden. Schlimmer geht’s wohl echt nicht mehr. IN China und VON Koreanern. Die haben bestimmt nicht viel verdient dabei, weil faire Kollektivverträge haben die dort ja nicht, in Nordkorea. Und wie ich das so im Internet lese, kommts dann doch noch schlimmer: In den Kapsel ist die Asche von toten Kindern. Also „pulverisiertes Menschenfleisch von toten Babys und Föten“. Irgendwie grauslich, aber es hilft halt. Scheinbar geht das nur so, wenn man wieder jung sein will. Dabei hat mir die Apothekerin versichert, dass es ein wirklich gutes Produkt ist. Also unter ethisch korrekten Rahmenbedingungen hergestellt und alles „bio“. So hat sie es gesagt, ja. Und das es gegen Krebs auch helfen soll, wenn sonst wirklich nichts mehr hilft, ist natürlich auch ein Punkt auf der Liste mit den Vorteilen. Eigentlich hat es ja nur Vorteile, mein Wundermittel, bis auf das mit der Kinderasche eben.

Und damit auch alles bewiesen ist, haben die auch noch DNA-Tests gemacht! Und wirklich: Die Untersuchungen haben ergeben, dass „sie zu 99,7 Prozent aus menschlichem Material bestehen.“ Irgendwie ja schon toll, was die Wissenschaft und die Technik heutzutage schon alles können. Also jetzt nicht wegen der DNA-Tests, sondern dass die auf solche Sachen kommen. Irgendwas muss man mit den ganzen toten Menschen ja machen, vor allem in China, wo es eh so viele davon gibt. Wenn man die nur vergraben würde, dann gäbs auf der Welt ja bald nichts mehr außer halb verwesten Leichen, oder? Denn rein mathematisch gibt es mehr tote als lebendige Menschen und so schnell verwesen die eben auch nicht. Irgendwas muss man also machen und wenn es dann auch gleich noch so hilfreich ist, für einen wie mich, dann ist es doch gleich doppelt gut!

Was aber schon blöd und ein bisschen makaber ist: Die Schmuggler, also die Angestellten der Pharmafirma, haben das Zeug in die ausgehölten Bäuche der Teddybären mancher der kleinen Fratzen gesteckt, die verfrüht „das Hangerl gworfen“ haben und so versucht, die Grenze nach Südkorea zu passieren, von wo aus mein Wundermittel nach Europa hätte verschifft werden sollen. Doch den Lastwagen mit Teddybären, die nach frisch Gegrilltem gerochen haben, dürften die denen dann doch nicht abgekauft haben. Und deshalb: Ende Gelände. Aus die Maus. Vorbei mit der Hexerei.

Mein Problem ist jetzt, dass die kleinen Falten unter den Augen langsam aber sicher wieder an ihren angetrauten Platz zurückkommen und mein alter Freund der Lungenkrebs sich auch gerade wieder einnistet. Tja, dann bleibt mir doch nichts anderes mehr übrig, als wieder meine allabendlichen Streifzüge durch die Krankenhäuser der Wiener Randbezirke zu machen und mir von den Böden der Kreißsäle ein paar liegen gelassene Mutterküchlein für den Nachtisch zu holen.