EINE TASSE TEE

04022013_TeetasseEs ist exakt jetzt der Moment, in dem du dir die Zeit nimmst, dich gemütlich hinzusetzen, die Augen schließt und ein paar Mal tief ein- und ausatmest. Du führst die Tasse mit dem milden Tee, der dir so gut schmeckt, vorsichtig an die Lippen und spürst den aufsteigenden Dampf im Gesicht. Alle kleinen Muskeln, die den ganzen Tag über deine Mimik gesteuert haben, entspannen sich und du bekommst zum ersten Mal eine Ahnung davon, was Ruhe eigentlich bedeutet. Mit geschlossenen Augen atmest du tief ein und lenkst deine gesamte Konzentration auf das Aroma des Tees, das von den Rezeptoren in deiner Nase verstanden und in Windeseile ans Gehirn weitergeleitet wird – so schnell, dass du den Vorgang selbst gar nicht bemerkst – und wenn du wieder ausatmest, strömt dir erneut der warme Dampf des Tees über dein Gesicht.

Du neigst die Tasse leicht, öffnest die Lippen und lässt einen Schluck des Tees in deinen Mund fließen. Und bevor du schluckst, gibst du den Geschmacksknospen auf deiner Zunge ein bisschen mehr Zeit als sonst für ihre Arbeit. Und so wie du den herrlichen Geruch des Tees wahrgenommen hast, so nimmst du jetzt auch seinen Geschmack wahr – viel stärker und intensiver als sonst.

Nun musst du gar nicht daran denken, wie das Schlucken eigentlich funktioniert und lässt den Tee deine Kehle hinunterrinnen, hinein in deinen Körper. Und mit nach wie vor geschlossenen Augen registrierst du, wie angenehm es ist, den warmen Tee in deiner Speiseröhre zu spüren. Gleich einer Explosion bahnt sich die Wärme von dort aus ihren Weg in deinen ganzen Körper – vom Bauch aus in Arme und Beine, bis in die äußersten Extremitäten. Und zu dem Gefühl von Wärme mischen sich eine wohltuende Geborgenheit und die Entspannung, wie du sie anfangs schon im Gesicht gespürt hast – nur jetzt in deinem ganzen Körper. Wie das Lebenselixier, das du so lange gesucht hast, gibt dir der Tee neue Kraft.

Genau jetzt weißt du, was du eigentlich willst. Dir ist auf einmal ganz klar, wonach du in deinem Leben strebst. Und die Frage nach dem Sinn deiner Existenz hat sich für dich erübrigt – ja, es scheint dir geradezu lächerlich, dass du dir diese Frage überhaupt jemals gestellt haben sollst. Du nimmst diesen Augenblick so klar, deutlich und vor allem bewusst wahr, dass es für dich nicht mehr den geringsten Zweifel daran gibt, wohin dein Weg dich führen soll. Du weißt jetzt Bescheid und vertiefst dich in diese Erkenntnis. Du nimmst die ganze Klarheit, die dich umgibt, in dich auf, lässt diesen feinen, kristallinen Zustand langsam durch deine Haut in dein Inneres sickern, bis du schließlich vollkommen davon ausgefüllt wirst.

Lass dir Zeit und koste dieses Gefühl mit jedem Atemzug noch ein bisschen mehr aus. Du kennst dich jetzt gut aus und bist zufrieden. Der Weg liegt vor dir und die erste Schrittlänge hinter dir. Versuche nicht, alles was kommen wird auf einmal zu verstehen, lass dich von der Ungeduld nicht übermannen, sondern lasse die Klarheit weiterhin zu. Genieße die Ruhe, die von diesem Moment ausgeht und wenn du bereit bist, dann wiederhol das Prozedere und schöpfe dabei noch mehr Energie.

Schließlich wirst du erkennen, dass dich dieser kleine Schluck Tee mehr lehrt, als alles andere, was du bis jetzt erfahren hast und mit jedem weiteren Schluck, wirst du dich weiter entspannen und noch deutlicher sehen.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #2

04_Betonwand_optimiertAm darauffolgenden Tag, ganz früh am Morgen, weckte uns einer der Arbeiter in der Fabrik. Er stellte sich uns namentlich vor, doch gelang es keinem von uns, sich den Namen zu merken, geschweige denn, ihn auch nur anzuhören oder auszusprechen. Denn wie beinahe alle azerbaijanischen Namen, war er furchtbar kompliziert, weder übersetzbar noch hörbar und man wusste nicht, ob es sich um Vor- oder Nachnamen handelte. Umso glücklicher war ich, dass ich Karlheinz an meiner Seite hatte. Viele der Namen, so wurde mir später erzählt, wurden in den hiesigen Gefängnissen als Folterwerkzeuge verwendet, mit dem Resultat, dass der- oder diejenige, der oder die das Unaussprechliche hören mussten, sofort aus den Ohren zu bluten und am ganzen Leib zu zittern begannen. Angeblich hatte es sogar einmal einen Namen gegeben, der derart widerwärtig gewesen war, dass alle Betroffenen wie Glas in kleine Scherben zersprangen, als sie ihn vernahmen und der auch in einem der zwei Irakkriege als Massenvernichtungswaffe zum Einsatz gekommen war. Freilich spuckte uns der Arbeiter auch an und so waren Henry und ich, von den vielen neuen Bekanntschaften, die wir machten, bald am ganzen Kopf und Oberkörper mit Speichel bedeckt.

Der Arbeiter bot an, uns durch die Fabrik zu führen und bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, dass in der Fabrik nicht nur gestohlene Autoteile zu neuen Fahrzeugen zusammengebaut wurden. Nein, auch Teile von Fahrrädern wurden manchmal in die neuen Vehikel geschweißt und dadurch erhielten die Fabrikate nicht nur einen gewissen Charme, sie wurden auch zu Einzelstücken mit garantiertem Seltenheitswert. Ob sie fahren konnten oder nicht war im Grunde egal (Räder hatten ohnehin nicht viele), denn die Kunstwerke, als die sie im ganzen Land verehrt wurden, ließ man entweder in Galerien in den reicheren Vierteln Bakus ausstellen oder aber sie wurden in den ärmeren Vierteln sofort „zerstohlen“, wie es auch uns mit dem Maybach passiert war. Und Letzteres führte zu einem unendlichen Kreislauf, der den Arbeitern der Fabrik schließlich ihren recht zwielichtigen Arbeitsplatz sicherte. Eigentlich war es auch nur ein Arbeiter, der momentan vor Ort war und keine Fabrik, sondern eher eine mittelprächtige Werkstatt von der Ansehnlichkeit eines Mobiklos, dennoch wurden wir am Ende der Führung von Selbigem gebeten, den Meister nicht weiter bei seiner Arbeit zu stören. Er wolle nun beginnen, die neu eingetroffenen Sitze des Maybach mit einem Haufen öliger, verrosteter Fahrradketten zu verlöten oder sie darum herum zu wickeln. Was auch immer dann noch in der kleinen Schöpfungsstätte vor sich ging, beim Verlassen dieses zauberhaften Ortes kam es mir so vor, als hätten einige dieser Ketten einst meinen Rädern zugehört.

Ich hatte meinen Platz auf Henrys Rücken wieder eingenommen und Willi, der bislang noch nicht viel gesagt hatte und aus dessen Zittern und Jammern man schlussfolgern konnte, dass er immer noch kurz vorm Hungertod stand, ließ sich weiterhin von Karlheinz durch die Gegend tragen. Also mussten wir schleunigst etwas Essbares auftreiben, denn auch wir anderen hatten seit mehr als 24 Stunden nichts gegessen, noch getrunken. Und Allah sei Dank, kamen wir auf unserem Weg, der bis dato noch kein weiteres Ziel hatte, an einem alt-azerbaijanischen Markt vorbei. Nun sind diese Märkte dafür bekannt, dass sie nicht sonderlich hygienisch sind und die meisten Produkte, sofern nicht Trockennahrung (und selbst die manchmal), schon eine etwas dickere Schimmelschicht angesetzt haben, doch dass sich Henry schon beim bloßen Vorübergehen an den Ständen eine Magendarmgrippe zuziehen würde, hatten selbst die toten, stinkenden Fische, die ungekühlt auf einem der Holztresen lagen, nicht wissen können. Und so vermieden wir Erwachsenen es, uns in diesem Drecksloch von Markt etwas zu essen zu kaufen, nur der kleine, abgemagerte Willi, mit seinem vom Hunger aufgedunsenen Bäuchlein, glubschte mit seinen großen Kulleraugen von einem Stand zum nächsten und so kaufte ich ihm mit meiner AMEX Black Card in der Trockennahrungsabteilung des Marktes ein durchgeweichtes Papiersäckchen voll Frolic Hundenahrung, die unter all den pilzbewachsenen Lebensmitteln noch am frischesten aussah. Und so bei mir dachte ich, ach wie gut, dass man egal wo man in Azerbaijan ist, mit Kreditkarte zahlen kann. Ein Vorteil, den man als Besitzer von mehr als 100 Karten nicht einmal bei uns in Österreich ausspielen kann.

Willi hatte sein Futter schon fast aufgefressen, als wir den Markt verließen und plötzlich ein schwarzer, gepanzerter Land Rover an uns vorbeirauschte, in dem offensichtlich Angelina Jolie saß. Es war wohl kein ganzer Geländewagen mehr, denn große Teile des Daches und der linke Hinterreifen fehlten schon und ein besonders diebischer Azerbaijaner, der sich an einem der Außenspiegel festgebissen hatte, machte sich gerade daran auch noch das linke Vorderrad abzumontieren. Und als Angelina, die offensichtlich alle Stunts als Lara Croft selbst gespielt hatte, das bemerkt hatte, machte sie aus sitzender Position einen dreifachen Rückwärtssalto aus dem fahrenden SUV und warf während des Sprungs eine ihrer Haarklammern nach dem Langfinger. Diese blieb gekonnt in seinem Rachen stecken und das hatte zur Folge, dass der Banause zu röcheln und husten begann und seine bislang sichere Position am Außenspiegel zwangsweise aufgeben musste. Ob es Angelina nun so geplant hatte, oder nicht, ist mir bis zum heutigen Tag nicht klar, doch der Azerbaijaner kullerte, bei dem Versuch sich anderswo am Auto festzuhalten unter den halb demontierten Vorderreifen, wurde überfahren und schaffte es dann doch noch sich hinten am Auspuff festzuhalten. Das raffinierte Bürschchen, das die Klammer nun wieder aus- und Henry ins Gesicht gespuckt hatte, wurde noch mehrere Meter weit von dem Land Rover mitgeschleift, der jedoch heftig ins Schleudern gekommen war, als er den Dieb überrollt hatte und letzten Endes in einer sehr massiven, 3 Meter hohen Betonwand direkt gegenüber dem Markt zu stehen kam. Es gab eine heftige Explosion und der Azerbaijaner, sowie die drei Bodyguards von Misses Jolie, die bis zu diesem Zeitpunkt noch im Wagen gesessen hatten und nun alle zu brennen begonnen hatten, liefen schreiend davon und waren nicht mehr gesehen.

Während des ganzen, nervenaufreibenden Vorfalls hatte ich dem kleinen Willi die Augen zugehalten, damit er die schrecklichen Bilder nicht sehen musste, doch als Angelina, deren schwarzes Abendkleid kein bisschen schmutzig geworden war, mit ihren gazellenhaften Beinen zu uns herüberstolziert kam, ließ ich auch ihn einen Blick auf die Schönheit werfen. Und auch Karlheinz, der so viel Gewalt zwar gewohnt war, es aber nicht ertragen konnte, Autos brennen zu sehen, hatte erst jetzt die Augen wieder geöffnet und Angelina zur Begrüßung freundlich ins Gesicht gespuckt. Die Schauspielerin, die mit den Umgangsweisen vor Ort scheinbar vertraut war, wischte sich mit einem Kaschmirtaschentuch, dass sie zwischen ihren Brüsten aufbewahrt hatte, den Sabber aus dem Gesicht und erwidert die Begrüßung und spuckte auch uns andere an und so taten auch wir es, die wir vom vielen Begrüßen schon eine ganz trockene Kehle hatten. Danach nahm ich Henry die Klammer aus dem Gesicht und gab sie ihr zurück und zum Dank lud sie uns ein, ihr zum Finale des Eurovision Songcontest zu folgen, der am selben Abend in der Kristallhalle stattfinden sollte, die sich gleich hinter der hohen Betonwand in den Himmel erhob.

MEIN FERNSEHER UND ICH

02_Fernseher_optimiertGestern habe ich endlich wieder einmal ferngeschaut. Ich wusste am Abend einfach nichts Besseres zu tun und als ich so im Wohnzimmer am Eisbärenfell vorm Kamin stand und gelangweilt vor mich hinüberlegte, ob ich lieber den 1734 oder den 1492 Portwein knacken sollte, da schob sich das Fernsehgerät in mein Blickfeld. Obwohl es ohnehin nicht leicht zu übersehen ist, denn mit einer diagonalen Spannweite von 27 Metern füllt es doch knapp eine ganze Zimmerwand aus. Und da ich zur Abwechslung einmal nicht auf ein Charity-Event, eine Gala, einen Ball oder anderes VIP-Getümmel eingeladen war, ließ ich mir von Henry die Fernbedienung am Silbertableau bringen und hievte meinen fetten Arsch mit einem gekonnten Hechtsprung auf das B&B Italia Sofa. Henry, mein Haushälter und Butler, war so freundlich das Gerät auch gleich einzuschalten und mir dann die Füße zu massieren. Was täte ich nur ohne Henry?

Nun ist es aber nicht ganz ohne Grund, dass ich so lange dem Flimmerkasten abgeschworen hatte: Vor mehreren Monaten nämlich, es war ein Sonntag und so gegen Mittag, läuteten auf einmal zwei Herren im Anzug bei mir zu Hause an. Sie hatten ein kleines Büchlein bei sich, in dem wohl wichtige Worte geschrieben standen und auf ihr höfliches Bitten hin, ließ Henry sie eintreten. Ich war noch im Morgenmantel und empfing sie im Vorraum auf der Chaiselongue Edwards. Bei Jasmintee und Blaubeerkuchen erklärten sie mir dann, dass ich unbedingt allem Schlechten abschwören müsse – so auch dem Fernsehen. Denn im Fernseher, da wohne der Teufel. Viel mehr noch sei der Apparat, so argumentierten sie fachlich und logisch, ein Werkzeug des Teufels, das ausschließlich zur Manipulation der Menschheit diene. Des Weiteren dürfe ich, beim Akt und auch so im Alltag, keine Kondome mehr tragen und müsse ihrem Verein viel Geld spenden.

Nun haben die Spendenchecks meinem wohlgenährten Börserl nichts ausgemacht, doch die vielen Abtreibungen, die ich all den 15-jährigen Mädels zahlen musste, die ich so dann und wann entjungfert und geschwängert hatte, waren nicht steuerlich absetzbar und so verwarf  ich die schnöden Glaubensätze, legte mir eine 100 Stück Packung hauchdünne Verhüterli zu und erlaubte es mir, wieder mal zu glotzen bis der Arzt kommt. Und wie ich so durch die Kanäle zappe und nicht recht ein passables Programm zu finden ist, bleibe ich eben beim Fußball hängen und lasse mich von 22 durchtrainierten Körpern in farbigen Kostümen und einem runden, bunt bemalten Ball begeistern. Was den Römern Brot und Spiele waren, das ist dem Wiener Bier und Fußball, so sinniere ich vor mich hin, als plötzlich eine Sturzszene immer und immer wieder gezeigt wird. Und wie ich mir noch überlege, was denn während der Wiederholungen tatsächlich am Spielfeld passiert und ob die Kicker sich währenddessen vielleicht ein Kebab kaufen gehen oder eine Tschick anrauchen, bemerke ich plötzlich, dass sich die Sportler in Balletttänzer und das Stadion in die Wiener Staatsoper verwandelt haben. Nicht ein Fußballmatch, sondern die Wiederholung der Live-Übertragung des Opernballs 2009 hat man mir vorgesetzt. Und das brauche ich nun wirklich nicht.

Also lasse ich Henry den Sender wechseln und bin dann bei der Live-Übertragung des 40. Life-Balls vor dem neuen Wiener Rathaus. Die Ansprache des frisch geouteten Bürgermeister-Kanzler Strachèe ist schon vorüber, als Gery Keszler in seinem schwebenden Hover-Rollstuhl auf die Bühne saust, um den Crystal-Meth Award ein paar abgemagerten Models zu verleihen. Die glücklichen Gewinnerinnen machen einen Stagedive in die tobende Menge und zerbrechen dabei in tausend Scherben. Doch auf der Bühne geht’s schon weiter und Michael Jackson wird von zwei Bühnenarbeitern in einem gläsernen Sarg auf die Bühne getragen und neben dem Mikrofon postiert. Mühevoll zerren sie seinen Kadaver aus dem Glaskasten und vom einen Ende der Bühne ans andere, wobei die Puppenspieler auf den Schnürböden ihr Übriges tun, um dem toten Popstar noch ein paar hippe Moves zu entlocken. Als die Playback-Version von They Don’t Care About Us dann fertig abgespielt und die zerfledderte Leiche von Michael wieder zusammengekehrt ist, zeigt man die Modenschau des ersten blinden Designers der Welt. Die Kleidungsstücke sind den Umständen entsprechend hässlich, doch Gery Keszler verleiht auch ihm einen Award. Und als der blinde Designer, mit der schicken Sonnenbrille auf der Nase, die Bühne verlassen will, stürzt er über den liegen gelassenen Glitzerhandschuh des King of Pop und fällt in den Orchestergraben, wo er im Mundstück einer Tuba landet und darin verschwindet. Gery Keszler will ihm gerade noch nachfliegen und ihn retten, da saugt sein Hoverstuhl den Handschuh ein und es gibt eine riesige Explosion…

In dem Moment wache ich schweiß- und blutgebadet auf dem Sofa auf. Alles nur ein Alptraum, vermutlich von den Teufeln im Fernseher heraufbeschworen. Henry, von meinen verzweifelten Schreien im Schlaf geweckt, eilt herbei und sieht das Schlamassel. Und es stellt sich heraus, dass ich mir zwar verkrampft auf die Lippen gebissen hatte, die roten Flecken auf meinem Morgenmantel aber vom verschütteten Portwein herrührten. Zu müde zum Gehen, schultert er mich und trägt mich hinauf in den ersten Stock ins Badezimmer, wo er mir die Zähne putzt und mein schütteres Haupthaar durchkämmt. Dann legt er mich behutsam in die weichen Federn meines Himmelbettes und singt mir ein beruhigendes Schlaflied.