MANIEREN

Manieren werden ja vielfach falsch verstanden. Die meisten Menschen wissen ja nicht einmal, was Manieren wirklich sind. Das Wort Manieren kommt nämlich aus dem Lateinischen und stammt von dem Wort manus ab, was so viel wie Hand bedeutet. Manieren sind also alles, was man mit den Händen machen kann. Aber es muss sich dabei ausschließlich um Hände handeln. Sobald die Füße im Spiel sind, ist das Spiel vorbei.

„Alles was Flügel hat, fliegt“ sind etwa gute Manieren. Fast so gut, wie die Überleitung zwischen den beiden Absätzen hier.  Auch Nasenbohren zählt zu den guten Manieren, solang es im Sitzen ausgeführt wird, denn im Stehen hätten die Füße schon wieder viel zu viel mit der ganzen Sache zu tun. Und die besten Manieren beweist man natürlich mit einem gediegenen Handstand. Deswegen gehen die so genannten Manieristen, also die Vertreter des Manierismus (zu deutsch in etwa Handtum), auch nur auf den Händen und am Handtag nur auf einer Hand, während sie mit der anderen in der Nase bohren. Das Nasenbohren ist an dem Tag nur deshalb erlaubt, weil das ganze Körpergewicht auf nur einer Hand lastet und der Körper alleine mit einem Handtuch bedeckt sein darf.

Manieren ist auch nicht nur ein Hauptwort, sondern auch ein Verb und kann auch als Adjektiv, also manieriert, eingesetzt werden. Nicht zu verwechseln mit mariniert! Mariniert bedeutet, dass etwas aus dem Meer kommt und das trifft hier nicht zu. Die Lieblingssportart der Manieristen ist übrigens Handball, wobei jedes Spiel mit einem Handschlag beginnt und auch wieder aufhört.

Bei gar großem Interesse, schlagen Sie bitte in einem Handbuch nach.

WISSEN

Was auch immer Sie bislang zu wissen geglaubt haben, es stimmt nicht. Wirklich nicht! Vergessen Sie es einfach! Alles! Am Einfachsten geht das so: nehmen Sie das bisschen Wissen, das Sie besitzen und stecken Sie es in ein Kuvert und das Kuvert dann in ein Plastiksackerl vom Billa. Jetzt nehmen Sie das Plastiksackerl und suchen sich eine von diesen gigantischen, blauen IKEA Tragetaschen, die zu Hauf bei Ihnen zu Hause im Keller herumliegen und stecken es dort hinein. Verschließen Sie die Tasche sorgfältig. Am besten wird es vermutlich sein, Sie wickeln noch ein paar Gummiringerln rund herum, damit ja nichts von dem Lug, Trug und Irrtum dorthin zurückkann, von wo Sie ihn gerade verbannt haben. Jetzt gehen Sie in den nächstbesten Fachhandel für Accessoires für Piraten und erwerben dort eine Schatzkiste. Eine große, schwere, hölzerne Schatzkiste mit einem goldenen Schloss davor. Sperren Sie alles, was Sie bis jetzt haben dort hinein und verschlucken Sie den Schlüssel. Kleiner Tipp am Rande: Wenn Sie den Schlüssel ein bisschen salzen, geht das Ganze viel leichter runter. Und damit nichts schief gehen kann, übergießen Sie die Kiste jetzt bitte mit Benzin (bleifrei) und zünden Sie sie an. Und vergessen Sie nicht, vor den Flammen wegzulaufen, denn es könnten sich noch Spuren des einst für wahr befundenen Wissens darin befinden.

Jetzt sind Sie rein und wir können endlich beginnen…

KATZEN UND KAMELE

Katzen funktionieren ja bekanntlich fast so wie Kamele. Also was den Stoffwechsel betrifft. Sie brauchen sehr wenig Nahrung, müssen aber unheimlich viel Flüssigkeit aufnehmen, sonst würden sie verdursten, denn sie leben ja ausschließlich in Wüsten. Und ich glaube, das ist auch der Grund, warum Kamele drei Höcker haben und Katzen einen Schwanz und ein so buschiges Federkleid. Irgendwo muss das viele Wasser ja auch gespeichert werden. Daran liegt es vermutlich auch, dass Katzen nicht so gern baden gehen: Sie haben schon so viel Wasser in sich! Frau Katharina Dromedar, die neue Verhaltenspsychologin meines Katers Carlo, hat außerdem gemeint, dass Katzen Mäuse und andere Kleintiere im Grunde gar nicht gerne jagen und verspeisen, sondern sich von der Gesellschaft und im Besonderen ihren BesitzerInnen dazu gezwungen fühlen diesem krankhaften Verhaltensmuster Folge zu leisten und seit sich Carlo von mir zu Nichts mehr gezwungen fühlt, lässt er sich auch viel lieber rupfen und das kurbelt meine kleine Polstermanufaktur schon ziemlich an.

DAS MEER UND ICH

07_Strandkorb_optimiertAls Nichtschwimmer habe ich ja eigentlich immer schon eine besonders große Angst vor dem Meer und Wasser im Allgemeinen gehabt, doch hat mich Henry kürzlich davon überzeugt, mich auch für ein paar Tage zu den Reichen und Schönen an die weißen Sandstrände Barcelonas zu gesellen, mit dem Versprechen, er würde mir das Schwimmen beibringen. Nur wenige Flugstunden nach dieser Blitzentscheidung und einen weiteren wasserbruchgelandeten Airbus A380 weniger, lag ich auch schon in Mitten entblößter, gebräunter Oberweiten, der gute Henry, mir mit einem Palmwedel frische Luft zufächelnd, neben unserem Strandkorb. Man kennt die ansprechende, freizügige Schamlosigkeit der Spanierinnen ja vom Hörensagen, aber der Anblick, der sich mir in diesen Tagen bot, übertraf sämtliche Gerüchte und Geschichten, die mir je zu Ohren gekommen waren. Zeitweise hatte ich sogar mehr Brüste als Strand vor Augen.

Sich an der weiblichen Vollkommenheit satt gesehen habend, drängte mich Henry schon bald, die ersten Schritte ins doch noch frisch-kühle Meer zu machen. Der Sicherheit wegen hatte er mir Schwimmflügel, nicht Schwimmflügerl, angelegt, mit denen man quasi im Wasser fliegen konnte. Nachdem ich meine Flugangst aber erst seit einem knappen Jahr überwunden hatte, spendete mir auch dieser Umstand nicht allzu viel Trost, außerdem rieben mir die Plastikflügel die Oberarme wund. Henry, der viele Jahre hindurch britischer Staatsmeister im japanischen Schmetterlingsschwimmen gewesen war und dessen entfernter Cousin, Herbert (Bertl), Bademeister im Wiener Amalienbad war, hatte eine enge Verbindung zum Wasser und wusste wohl, wie man Kleinkindern das Schwimmen beibringen konnte, doch hatte er mit mir so seine Schwierigkeiten. Zwar hielt er mich nur am Rumpf und gab mir klare Anweisungen, doch gelang es mir immer wieder, dass mir die Badehose von den Hüften glitt und ins Meer hinaus getrieben wurde. Auf diese Weise verbrauchte ich innert drei Tagen knappe 300 Badehosen in allen Regenbogenfarben und Mustern und verschluckte mehrere Liter urinversetztes Salzwasser, als manch anderer im ganzen Leben.

Henrys unermüdliche Versuche mir den Wassersport näher zu bringen, nahmen ein jähes Ende, als er am vierten Tag unserer Reise von einem, noch nicht vollständig ausgewachsenen, viereinhalb Meter langen, Weißen Hai ins rechte Bein gebissen wurde. Der tapfere Henry wollte sich zuerst seine Schmerzen nicht anmerken lassen und so fiel mir der Haibiss auch erst auf, als wir zurück zu unserem Strandkorb gingen. Doch es kam noch schlimmer! Nicht nur, dass Henry schon im Meer stark von der Fleischwunde geblutet hatte und nach wie vor eine unübersehbare Blutspur durch den Sand zog, so hatte er offensichtlich auch vergessen, Sonnenschutz aufzutragen, nachdem er mich eingecremt hatte und war am ganzen Oberkörper so rot, wie das Blut, das in Strömen aus seinem Bein floss. Und das wohl größte aller Übel: Eine paar flinke Finger hatten mein gesamtes Hab und Gut und Henrys AfterSun-Lotion aus dem Strandkorb gestohlen und nicht einmal ein paar Hühneraugenpflaster aus meinem Necessaire zurückgelassen, mit denen ich Henrys Wunde hätte provisorisch verarzten können.

Man hatte mich ja schon vor unsere Abreise gewarnt, dass die Barcelonesen ganz hinterhältige Straßen- und Taschendiebe waren, aber dass sie ganze Strandkörbe leerraubten und so den Azerbaijanern in ihrer Flinkfingrigkeit um Nichts nachstanden, verstörte mich auf ein Neues. Einzig mein AMEX Black Card Emergency Service konnte uns in dieser Situation noch helfen. Die netten Herren in Schwarz, die prompt zur Stelle waren, brachten Henry in das beste Krankenhaus Barcelonas, wo ihm vom besten Chirurgen der Welt, der sich auf Haibisse spezialisiert hatte, gleich ein neues Bein gebastelt wurde, sodass er schon wenige Stunden nach dem Vorfall wieder gehen und mir mit dem Palmwedel Schatten und frische Luft spenden konnte. Mir hatten die Anzugträger eine neue Karte überhändigt und mir in Windeseile alle verloren gegangenen Gegenstände ersetzt und nach meinen Anweisungen auch wieder im Strandkorb platziert.

Nachdem der größte Schock überstanden war, hatten wir uns am frühen Abend des darauf folgenden Tages wieder zu unserem Strandkorb begeben. Gemütlich in der Abendsonne schlummernd, von Henry mit einer Sangria Grande gesäugt werdend, fielen mir mehrere Leute auf, die verdächtig am Strand patrouillierten. Sie hatten alle einen azerbaijanischen Touch und einige von ihnen trugen Metalldetektoren, mit denen sie den Sand absuchten, während andere nur mit ihren bloßen Füßen in kleinen Quadranten den Sand nach vergessenen Wertgegenständen durchwühlten. Ich hatte nicht nur die Vermutung, nein, ich war mir sicher, dass das die Diebe waren, die mir den Urlaub vermiest hatten. Wenigstens hatten sie bei ihrer Suche kaum Glück, doch gerade das brachte mich auf die glorreiche Idee, die mir schließlich den Rest des Urlaubs versüßte. Ich ließ mir von Henry mehrere Rollen mit 10 Cent Münzen von der Bank holen und vergrub sie in regelmäßigen Abständen und verschiedenen Mustern nicht allzu tief im Sand und konnte so die diebischen Schatzgräber durch den Sand dirigieren. Mit der Zeit entbehrte jedoch auch diese Tätigkeit jeder Spannung und so ließ ich manche von ihnen bis weit hinaus ins Meer laufen, bis die Münzspur am Meeresboden abrupt ein Ende nahm, sie erkannten, dass sie schon lange unter Wasser waren und eigentlich keine Luft mehr zum Atmen hatten und kläglich ertranken.

Trotzdem ich einen rechten Spaß an dem Spiel hatte und auch viele Erfolge erzielte, wurde ich langsam aber sicher eines Umstandes gewahr, der schon bald nicht mehr zu übersehen war: Der Sand am Strand war von Tag zu Tag weniger geworden. Ab und an waren sogar große Löcher im Strand, in die die Touristen untertags hineinstolperten und aus denen man oft noch bis tief in die Nacht die Hilferufe der Unglücksraben hörte, bis sie langsam leiser wurden und die krächzenden Stimmchen irgendwann ganz verstummten. Auch einige Schatzsucher hatte ich mit Münzfährten in die Krater im Sand gelotst, doch die Frage, welche Kraft der Erde hinter diesem Sandschwinden stecken konnte, blieb ungeklärt, bis ich eines Nachts vom Lärm mehrere Schaufelbagger geweckt wurde, die tonnenweise Sand in gigantische LKWs füllten auf denen in großen blauen Buchstaben „Tel Aviv Beach“ geschrieben stand. Und nachdem die Frage unserer Heimreise ohnedies noch nicht geklärt war, nahmen uns die Sanddiebe, auf mein nettes Bitten hin, hinten auf ihren Ladeflächen, mit nach Hause, in mein viel geliebtes Wien.

BEGAFFT UND BEGATTET

06_Buchcover_Begafft_optimiert Geschätzte Leserinnen und Leser!

Ich habe mich leider entscheiden müssen, Sie mit der Publikation des Artikels „Ich, der Doktor“ noch ein wenig hinzuhalten, da einige wichtige Passagen des Textes kurz nach der Fertigstellung vom gemeinen Lesewurm verspeist wurden, der manchmal hier sein Unwesen treibt. Normalerweise sperrt Henry die, auf meiner Schreibmaschine verfassten, Manuskripte immer sofort in unseren hermetisch abgeriegelten Safe, wo das Ungeziefer keine Chance hat, meine Arbeit zu zerstören, doch auch der gute Henry wird langsam vergesslich und in meinem aufgewühlten Zustand war es mir bislang nicht möglich, mich mit der Korrektur des zerstückelten Artikels zu beschäftigen. Insofern wünsche ich viel Vergnügen mit einem Auszug aus meiner Autobiografie „Begafft und Begattet“ erschienen im Jahr 2004 und erhältlich bei allen OMV Tankstellen und ausgewählten Partnern der BP-Group.

Band 1 von 27 – Kapitel 1: Genesis

Meine Geschichte hat ja schon einmal einen recht unglücklich Anfang genommen, als sich der Storch, der mich zu Hause in Wien abliefern sollte, entscheiden hatte, nicht den weiten Weg in den Norden zu nehmen, sondern bei einem burgenländischen Heurigen einzukehren und mich kurzerhand dorthin mitgenommen hatte. Während sich also das faule Federvieh einen hinter die Binde kippte, lag ich, knappe 40 cm groß und nur mit einem luftigen Leinentuch bekleidet, auf dem kalten Erdboden hinter der Ausschank und verfasste in mitten des Trubels der mich umgebenden Saufgesellschaft mein erstes und bis heute meistrezitiertes Gedicht mit dem zugegebenermaßen etwas unglücklich gewählten Titel „Jetzt schlägt es dreizehn“. Der vierzeilige siamesische Hexameter mit doppelt geflochtener Zäsurenspiegelung beschrieb auf sehr gefühlvolle Weise die Geburt und den Niedergang eines in einer Seitengasse der Milchstraße vergessenen Sterns, der einst dem Gestirn der Pendeluhr zugehört hatte und den klingenden Namen Xmirgz III trug und gab dem Publikum, wo immer auf der Welt das Gedicht auch aufgesagt wurde, durch diese subtile Metapher einen Hauch der Ahnung der Einsamkeit, die ich beim Verfassen der Zeilen empfand. Zu allem Übel jedoch wurde der Holztresen, in den ich mit ein paar Glasscherben, die auf mich herunter geregnet waren meine erste Schöpfung graviert hatte, nur wenige Jahre später von einem amerikanischen Hypermilliardär, der kostenbaren Inschrift unwissend, bei einer Weinverkostung und anschließender Auktion zu dem lächerlichen Gegenwert von zweieinhalb asiatischen Wasserbüffeln, auch Bubalus Bubalis genannt, ersteigert.

Der damalige Besitzer der Bar, ein im Grunde gewiefter Winzer aus dem nördlichen Südburgenland mit einem abartigen Fetisch für seltene Haustiere, hatte nicht nur den Tresen, sondern sein ganzes Hab und Gut für die domestizierten Wasserbüffel hergegeben, die sich fortan in seine Sammlung, bestehend aus zwei Zentauren, dem letzten Einhorn und vierundzwanzig australischen Kakadus, die auf Zuruf vierstimmig die Internationale singen konnten, einreihten. Herr Traubenklauber, der Winzer, der sich mit seinem tierischen Gefolge Richtung Wien aufmachte, um dort Zirkusdirektor zu werden, starb jedoch schon kurze Zeit nachdem er seine letzte Errungenschaft gemacht hatte, in einem Straßengraben nahe Wiener Neustadt an einem äußerst tückischen Schnupfen, den die Büffel auf ihn übertragen hatten, wie er in seinen Jahre später aufgetauchten Memoiren den Teil der Welt, der daran Interesse hegte, wissen ließ. Sein bis dahin unerklärtes Dahinscheiden hatte tatsächlich eine Vielzahl von Menschen fasziniert und sogar zur Gründung mehrerer Sekten geführt, die sich mit dem Erscheinen des Werkes und ob der Schande über den tatsächlichen Hergang seines Ablebens schlagartig auflösten oder sich einen neuen Götzen schufen und so gab es auch niemanden mehr, der die Pilgerfahrten Richtung Wiener Neustadt, zu dem berühmten Straßengraben, machte.

Der glückliche Ersteigerer des Tresens, der nebenbei auch noch seine kranken Wasserbüffel losgeworden war, wurde der Gravur auf dem Holzmöbel erst viele Dekaden später gewahr, als er während der Feierlichkeiten anlässlich seines 60. Geburtstages beinahe an den übergroßen Goldplättchen in seinem Kaviar-Sekt-Mischgetränk erstickte und unter heftigen Zuckungen direkt neben dem Tresen zu liegen kam, wo ihm exakt jene Stelle in den Blick geriet, die ich einst mit meinen Versen geziert hatte. Doch diese Geschehnisse lagen alle noch in weit entfernter Zukunft, als ich meine ersten Stunden hinter der Ausschank verbrachte und in den berauschenden Genuss des passiven Alkoholismus kam. Mein Rabenvater, der betrunkene Storch, hatte sich schon mehrmals übergeben und war letzten Endes nicht mehr fähig gewesen, mich bis nach Hause zu fliegen und so schleifte er mich, mein Leintuch im Schnabel, heftig torkelnd bis zu seinem Heimatnest, hoch oben auf einem schilfgedeckten Dach am Rande des Neusiedlersees.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #3

05_Gestänge_optimiert Es war einfach unvorstellbar, was sich in der Kristallhalle alles tat. An allen Ecken wuselte es vor Arbeitern und eine Heerschar von Sklaven, kommandiert und ausgepeitscht von geldgierigen Sklaventreibern in Anzug und Krawatte, war damit beschäftigt, Tribünen und gewaltige Bühnenkonstruktionen, ganze Container voller Lautsprecher und Equipment und natürlich die Wohnmobile der KünstlerInnen unter verschwitztem Ächzen und Stöhnen von einem Ende der Halle ans andere zu karren. Es kam uns allen so vor, als wäre ganz Baku damit beschäftigt gewesen, für das bevorstehende Event, das dem ganzen Land schlagartig aus der grassierenden Arbeitslosigkeit zu verhelfen schien, die Welt auf den Kopf zu stellen und das Unmögliche möglich zu machen. Ähnliches hatten auch wir geschafft, als wir am frühen Nachmittag die 3 Meter hohe Absperrmauer rund um das Gebiet, mithilfe einer Räuberleiter, deren Erfindung man einem ganz gewieften Azerbaijaner zusprach, überwunden hatten. Angelina, die nunmehr das fünfte Rad an unserem noch vollständigen Wagen verkörperte, wurde von den Sicherheitsleuten sofort erkannt und so hatte man uns, zu unserer eigenen Sicherheit wie es hieß, gefesselt und in Jutesäcke gestopft, in die Halle und dann in die appartementgroße Loge von Madame Jolie, oder Angie, wie wir sie nennen durften, gebracht.

Und hier saßen wir nun, in dem Luxus, den ich gewohnt war und den Willi sich in seinem vormaligen, wellblechüberdachten Drecksloch von Behausung neben dem Atomkraftwerk, dass sein Dorf verdrängt hatte, nie hätte erträumen können und genossen Kaviar und kleine Leckerbissen vom Buffet, das man vor uns aufgebaut hatte, während wir das wilde Treiben, der von hieraus ameisengroßen Wichtel, tief unten am Boden der Halle beobachteten. Angie, die großes Mitleid für Willi fühlte, hatte 50 Flaschen des teuersten Veuve Clicquot der Welt einfliegen lassen und ein livrierter Diener goss den Champagner geduldig Flasche für Flasche in eine riesige Badewanne, in der sich der kleine Stinker dann von all dem Schmutz und den schweren Schicksalsschlägen seiner bisherigen Kindheit reinwaschen durfte. Überhaupt spielte man, wie man so schön sagt, alle Stückeln für uns und als mich Henry,  dem seine kürzlich eingefangene Magendarmgrippe nach wie vor fürchterliche Schmerzen bereitete, endlich satt und zufrieden auf eines der King Size Himmelbetten in der Loge gelegt hatte, überkam mich der Wunsch, mir das Gewusel der Sklaven in der Halle genauer anzuschauen. Ich ließ meinem braven Butler einen Thermophor bringen und ihn an meiner statt in der sagenhaft großen Bettstadt zur Ruhe kommen, damit auch er sich einmal von all den Anstrengungen erholen konnte und orderte für mich und Karlheinz eine vergoldete Sänfte und vier muskulöse Träger, die uns hinunter zum Ort des Geschehens bringen sollten.

Es führte nur ein einziger sehr steiniger und stufenreicher Weg abwärts und da die, als Tagelöhner getarnten, Langfinger keine ausgebildeten Sänftenträger waren, passierte es hin und wieder, dass unser Gefährt kippte, wir beide hinauskullerten und auf dem harten, kalten Boden zu liegen kamen. Bei einem dieser Missgeschicke hatte ich das unverhoffte Glück, einen Blick in eine der anderen Logen werfen zu können und erspähte darin Wladimir Wladimirowitsch Putin und die anderen Staatsüberhäupter all jener Länder, die ins Finale des Songcontest gekommen waren, wie sie teils gemütlich, teils angespannt um einen großen Konferenztisch herumsaßen, auf dem ein riesiges Minopoly Spielbrett lag. Wladimir war gerade aufgesprungen und schrie in seltsam reinem Deutsch, er wäre nicht bereit, noch mehr Geld zu zahlen, um den russischen Teilnehmerinnen, seinen sechs Großmüttern, den Sieg zu ermöglichen. Schließlich hätte er schon fast das ganze Event durch seine Spenden finanziert und könne nicht noch mehr Steuergelder veruntreuen. Doch erst als wir wieder in die Sänfte zurück geklettert und schon fast unten angekommen waren, fiel mir auf, dass auf dem Tisch kein Spielgeld, sondern nur echte Scheine und Münzen gelegen hatten und die Spielfiguren kleine bronzene Miniaturen der echten KandidatInnen darstellten. Karlheinz hatte mir in der Zwischenzeit erzählt, dass die GewinnerInnen des Songcontest schon viele Jahre vor dem eigentlichen Ereignis feststünden und danach ausgesucht wurden, welches Land bei dem Spiel mehr Scheine auf den Tisch legte. Weiters hatte scheinbar der schwedische König aufgrund seiner Geldnot schon überlegt, seinen neugeborenen Nachkommen als Einsatz in die Runde zu werfen, als die anderen Staatschefs ihm aus Mitleid den Sieg zusprachen.

Knappe 200 Meter unter der Überdachung der gigantischen Veranstaltungshalle waren wir nun, an Knien und Ellbogen zerschunden, mitten im Getümmel und wurden durch den Sud der raunenden Sklavenarbeiter getragen, die mühselig alle Gerätschaften auf Baumstämmen durch die Gegend rollten, da es für die horizontale Bewegung großer Lasten hierzulande sichtlich noch keine andere Technik gab.  Und als ich meinen Blick gelangweilt umherschweifen ließ, entdeckte ich einen Tatbestand, der mir insgeheim und intuitiv schon seit unserer Ankunft in Azerbaijan in gewisser Weise klar gewesen war. Denn nicht aus reinem Zufall hatte uns das Schicksal auf diesen05_GelbeLichter_optimiert unwirtlichen Pfaden bis hierher geführt. Schweren Herzens musste ich feststellen, dass große Teile der Hallenkonstruktion aus den Rahmengestellen meiner 216 verschwundenen Fahrräder gebaut worden waren. Auseinandergeschnitten und wieder zusammengeschweißt, fast unkenntlich, doch für mich, dem jedes dieser Räder einem zu behütenden Kind glich, unverkennbar die meinigen. Ich sah hie und da noch einen gelben Reflektor durch das Gestänge blitzen und unter dem unsäglichen Schmerz ob des Wiedersehens mit meinen zweckentfremdeten Gäulen fast zusammenbrechend, ließ ich uns wieder in die Loge zurücktragen.

Auf halbem Weg zurück nach oben zu den Reichen und Schönen kamen uns Angie, die Willi im Arm trug und Henry, der mit schmerzverzerrtem Gesicht hinterdrein humpelte, entgegen. Der kleine Willi lachte und freute sich zum ersten Mal, seit ich ihn mir auf der minengespickten Landstraße vor Baku ausgesucht und mitgenommen hatte und roch kilometerweit gegen den Wind nach teurem Champagner und Angie, die von dem dürren Gestell in ihren Armen ganz verzückt war, erklärte mir, dass sie bei dem Anblick des Häufchen Elends nicht anders gekonnt hatte, als meinen jetzigen Adoptivsohn und Schützling in ihre Familie umzuadoptieren. Sie schilderte mir das äußerst gefühlvoll und betonte mehrmals, dass sie einfach ein zu großes Herz habe und zu gütig sei und da war es dann so weit, dass ich unter all der Trauer um meine Räder und jetzt auch dem Verlust meines eigenen kleinen Azerbaijaners unter Heulkrämpfen zusammenbrach und ohnmächtig wurde.

Viele Tage später wachte ich in der wohlbekannten Heimat, in meinem eigenen Himmelbett wieder auf, als Henry ein großes Tableau mit Frühstück hereinbrachte und vorsichtig die schweren, purpurroten Samtvorhänge vor den Fenstern zur Seite zog. Mein guter Freund und Leibdiener hatte es nach meinem Zusammenbruch nicht mehr ertragen, mich noch weiter in diesem widerlichen Land verkommen zu sehen und hatte eine Karawane von Kameltreibern ausfindig gemacht, mit der er mich zurück in mein liebes Mitteleuropa hatte bringen lassen. Tatsächlich roch ich auch noch ein bisschen nach Kamel, obwohl mich Henry schon mehrmals geduscht und mit dem Kärcher gereinigt hatte, doch hatte ich so bei mir die Vermutung, dass mir dieser Geruch für ewig bleiben würde, quasi als Warnung, nie wieder nach Azerbaijan, ins Land der tausend Diebe, zurückzukehren.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #2

04_Betonwand_optimiertAm darauffolgenden Tag, ganz früh am Morgen, weckte uns einer der Arbeiter in der Fabrik. Er stellte sich uns namentlich vor, doch gelang es keinem von uns, sich den Namen zu merken, geschweige denn, ihn auch nur anzuhören oder auszusprechen. Denn wie beinahe alle azerbaijanischen Namen, war er furchtbar kompliziert, weder übersetzbar noch hörbar und man wusste nicht, ob es sich um Vor- oder Nachnamen handelte. Umso glücklicher war ich, dass ich Karlheinz an meiner Seite hatte. Viele der Namen, so wurde mir später erzählt, wurden in den hiesigen Gefängnissen als Folterwerkzeuge verwendet, mit dem Resultat, dass der- oder diejenige, der oder die das Unaussprechliche hören mussten, sofort aus den Ohren zu bluten und am ganzen Leib zu zittern begannen. Angeblich hatte es sogar einmal einen Namen gegeben, der derart widerwärtig gewesen war, dass alle Betroffenen wie Glas in kleine Scherben zersprangen, als sie ihn vernahmen und der auch in einem der zwei Irakkriege als Massenvernichtungswaffe zum Einsatz gekommen war. Freilich spuckte uns der Arbeiter auch an und so waren Henry und ich, von den vielen neuen Bekanntschaften, die wir machten, bald am ganzen Kopf und Oberkörper mit Speichel bedeckt.

Der Arbeiter bot an, uns durch die Fabrik zu führen und bei dieser Gelegenheit erfuhren wir, dass in der Fabrik nicht nur gestohlene Autoteile zu neuen Fahrzeugen zusammengebaut wurden. Nein, auch Teile von Fahrrädern wurden manchmal in die neuen Vehikel geschweißt und dadurch erhielten die Fabrikate nicht nur einen gewissen Charme, sie wurden auch zu Einzelstücken mit garantiertem Seltenheitswert. Ob sie fahren konnten oder nicht war im Grunde egal (Räder hatten ohnehin nicht viele), denn die Kunstwerke, als die sie im ganzen Land verehrt wurden, ließ man entweder in Galerien in den reicheren Vierteln Bakus ausstellen oder aber sie wurden in den ärmeren Vierteln sofort „zerstohlen“, wie es auch uns mit dem Maybach passiert war. Und Letzteres führte zu einem unendlichen Kreislauf, der den Arbeitern der Fabrik schließlich ihren recht zwielichtigen Arbeitsplatz sicherte. Eigentlich war es auch nur ein Arbeiter, der momentan vor Ort war und keine Fabrik, sondern eher eine mittelprächtige Werkstatt von der Ansehnlichkeit eines Mobiklos, dennoch wurden wir am Ende der Führung von Selbigem gebeten, den Meister nicht weiter bei seiner Arbeit zu stören. Er wolle nun beginnen, die neu eingetroffenen Sitze des Maybach mit einem Haufen öliger, verrosteter Fahrradketten zu verlöten oder sie darum herum zu wickeln. Was auch immer dann noch in der kleinen Schöpfungsstätte vor sich ging, beim Verlassen dieses zauberhaften Ortes kam es mir so vor, als hätten einige dieser Ketten einst meinen Rädern zugehört.

Ich hatte meinen Platz auf Henrys Rücken wieder eingenommen und Willi, der bislang noch nicht viel gesagt hatte und aus dessen Zittern und Jammern man schlussfolgern konnte, dass er immer noch kurz vorm Hungertod stand, ließ sich weiterhin von Karlheinz durch die Gegend tragen. Also mussten wir schleunigst etwas Essbares auftreiben, denn auch wir anderen hatten seit mehr als 24 Stunden nichts gegessen, noch getrunken. Und Allah sei Dank, kamen wir auf unserem Weg, der bis dato noch kein weiteres Ziel hatte, an einem alt-azerbaijanischen Markt vorbei. Nun sind diese Märkte dafür bekannt, dass sie nicht sonderlich hygienisch sind und die meisten Produkte, sofern nicht Trockennahrung (und selbst die manchmal), schon eine etwas dickere Schimmelschicht angesetzt haben, doch dass sich Henry schon beim bloßen Vorübergehen an den Ständen eine Magendarmgrippe zuziehen würde, hatten selbst die toten, stinkenden Fische, die ungekühlt auf einem der Holztresen lagen, nicht wissen können. Und so vermieden wir Erwachsenen es, uns in diesem Drecksloch von Markt etwas zu essen zu kaufen, nur der kleine, abgemagerte Willi, mit seinem vom Hunger aufgedunsenen Bäuchlein, glubschte mit seinen großen Kulleraugen von einem Stand zum nächsten und so kaufte ich ihm mit meiner AMEX Black Card in der Trockennahrungsabteilung des Marktes ein durchgeweichtes Papiersäckchen voll Frolic Hundenahrung, die unter all den pilzbewachsenen Lebensmitteln noch am frischesten aussah. Und so bei mir dachte ich, ach wie gut, dass man egal wo man in Azerbaijan ist, mit Kreditkarte zahlen kann. Ein Vorteil, den man als Besitzer von mehr als 100 Karten nicht einmal bei uns in Österreich ausspielen kann.

Willi hatte sein Futter schon fast aufgefressen, als wir den Markt verließen und plötzlich ein schwarzer, gepanzerter Land Rover an uns vorbeirauschte, in dem offensichtlich Angelina Jolie saß. Es war wohl kein ganzer Geländewagen mehr, denn große Teile des Daches und der linke Hinterreifen fehlten schon und ein besonders diebischer Azerbaijaner, der sich an einem der Außenspiegel festgebissen hatte, machte sich gerade daran auch noch das linke Vorderrad abzumontieren. Und als Angelina, die offensichtlich alle Stunts als Lara Croft selbst gespielt hatte, das bemerkt hatte, machte sie aus sitzender Position einen dreifachen Rückwärtssalto aus dem fahrenden SUV und warf während des Sprungs eine ihrer Haarklammern nach dem Langfinger. Diese blieb gekonnt in seinem Rachen stecken und das hatte zur Folge, dass der Banause zu röcheln und husten begann und seine bislang sichere Position am Außenspiegel zwangsweise aufgeben musste. Ob es Angelina nun so geplant hatte, oder nicht, ist mir bis zum heutigen Tag nicht klar, doch der Azerbaijaner kullerte, bei dem Versuch sich anderswo am Auto festzuhalten unter den halb demontierten Vorderreifen, wurde überfahren und schaffte es dann doch noch sich hinten am Auspuff festzuhalten. Das raffinierte Bürschchen, das die Klammer nun wieder aus- und Henry ins Gesicht gespuckt hatte, wurde noch mehrere Meter weit von dem Land Rover mitgeschleift, der jedoch heftig ins Schleudern gekommen war, als er den Dieb überrollt hatte und letzten Endes in einer sehr massiven, 3 Meter hohen Betonwand direkt gegenüber dem Markt zu stehen kam. Es gab eine heftige Explosion und der Azerbaijaner, sowie die drei Bodyguards von Misses Jolie, die bis zu diesem Zeitpunkt noch im Wagen gesessen hatten und nun alle zu brennen begonnen hatten, liefen schreiend davon und waren nicht mehr gesehen.

Während des ganzen, nervenaufreibenden Vorfalls hatte ich dem kleinen Willi die Augen zugehalten, damit er die schrecklichen Bilder nicht sehen musste, doch als Angelina, deren schwarzes Abendkleid kein bisschen schmutzig geworden war, mit ihren gazellenhaften Beinen zu uns herüberstolziert kam, ließ ich auch ihn einen Blick auf die Schönheit werfen. Und auch Karlheinz, der so viel Gewalt zwar gewohnt war, es aber nicht ertragen konnte, Autos brennen zu sehen, hatte erst jetzt die Augen wieder geöffnet und Angelina zur Begrüßung freundlich ins Gesicht gespuckt. Die Schauspielerin, die mit den Umgangsweisen vor Ort scheinbar vertraut war, wischte sich mit einem Kaschmirtaschentuch, dass sie zwischen ihren Brüsten aufbewahrt hatte, den Sabber aus dem Gesicht und erwidert die Begrüßung und spuckte auch uns andere an und so taten auch wir es, die wir vom vielen Begrüßen schon eine ganz trockene Kehle hatten. Danach nahm ich Henry die Klammer aus dem Gesicht und gab sie ihr zurück und zum Dank lud sie uns ein, ihr zum Finale des Eurovision Songcontest zu folgen, der am selben Abend in der Kristallhalle stattfinden sollte, die sich gleich hinter der hohen Betonwand in den Himmel erhob.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #1

03_LandmineLetzte Woche ist mir wieder einmal mein Fahrrad gestohlen worden. Und nicht nur einmal. Und auch nicht nur Eines. Sondern gleich zwei Räder innerhalb weniger Minuten. Und daran bin natürlich nur ich selbst schuld, denn warum borge ich denn auch jedem dahergelaufenen Penner meinen Drahtesel, wenn er mich darum bittet? Vermutlich bin ich einfach ein viel zu gutmütiger Mensch, immer in dem Glauben, sie alle würden mir meine insgesamt schon 216 gestohlenen Fahrräder irgendwann wieder zurückbringen. Doch seit kurzem habe ich eine Lösung für meine stete Radlosigkeit. Ich trage nämlich immer ein Ersatzrad auf dem Rücken mit mir herum, was die Chance, ohne Rad dazustehen folgerichtig halbiert. Außerdem lasse ich alle meine Räder mit international verfolgbaren GPS-Geräten ausstatten, die von den gemeinen Fahrraddieben jedoch immer als erstes demontiert werden, obwohl sie ganz geschickt als Klingeln getarnt sind. Trotz allem wäre ich jetzt ganz ohne Fahrrad, hätte ich nicht vorgestern Abend noch den Anruf der Polizeiinspektion Langobardenstraße 128 erhalten. Die überaus kompetenten Wachleute hatten sich nämlich meiner Sache angenommen und eine heiße Spur gefunden, die zu einem Diebesnest in Azerbaijan führte.

Von den guten Neuigkeiten ganz außer mir, ließ ich mich von Henry zu meinem Privatflugplatz kutschieren und düste mit meinem Airbus A380 schnell mal nach Baku. Mein Reiseführer, ein Azerbaijaner mit langer, gut gepflegter Haarpracht und dem außergewöhnlichen Namen Karlheinz, machte uns vor Ort mit den gängigen Manieren und Verhaltensweisen vertraut. So, und das wusste ich zuvor natürlich nicht, gilt es in der Bevölkerung als Unart, ein angekettetes Fahrrad nicht zu stehlen. Der Ostländer verspürt nämlich von Geburt an den starken Drang, Ketten und überhaupt alle Dinge, die irgendwo festgemacht oder im Besitz einer anderen Person sind, zu stehlen. So gibt es in Azerbaijan etwa eine regionale Zugverbindung, jedoch keine Gleise und Schienen mehr. Und man erzählt sich, dass das Auto des Präsidenten einmal so lange „auseinandergefladert“ wurde, bis nur noch die Bereifung da war, auf der er dann jeden Morgen, gleich einem Einrad, in die Arbeit fahren musste. Deshalb war auch die Landung mit dem Airbus etwas holprig gewesen, da der Asphalt der Landebahn und überhaupt der ganze Flugplatz gestohlen worden waren. Und die vielleicht kurioseste aller Geschichten: In Azerbaijan, dem verkehrten China, wie man es aufgrund dieses Brauches auch nennt, ist es per Gesetz Pflicht, sich bei der Begrüßung gegenseitig ins Gesicht zu spucken.

Man will es nicht glauben, aber auf der Fahrt von dem Wald, in dem wir gelandet waren zum besten 10* Hotel Bakus, haben uns so ein paar Fladeranten den ganzen Maybach gestohlen. Und das während wir fuhren. Die flinken Finger der Azerbaijaner nahmen sich als erstes die Karosserie vor und erst als sie bei einer Kreuzung den Motor auszubauen begannen, fiel mir auf, dass es in der Limousine etwas zugig geworden war und ließ Henry ein paar dieser wilden Eingeborenen mit ihren eigenen Giftpfeilen erschießen. Nichtsdestotrotz standen wir schon 100 Meter weiter ganz ohne fahrbaren Untersatz mitten in einem kleinen Dorf nur wenige Kilometer außerhalb Bakus. Henry traf zwei weitere Diebe bei ihrem Fluchtversuch mit den Giftpfeilen genau zwischen die Augen und so konnten wir sie verhören und sie fragen, ob sie wussten, wo meine Fahrräder waren, während sie langsam ihrem Tod entgegensiechten. Karlheinz, der für uns übersetzte, ließ mich wissen, dass die beiden eigentlich Musiker und nur für den Eurovision Songcontest nach Baku gereist waren, dort aber schon während der Vorausscheidung offensichtlich schlechteren Darbietungen Platz machen mussten und sich jetzt ihre Brötchen als Straßenmusikanten und mit dem Stehlen von Autos und Fahrrädern verdienten. Von meinem Fahrrad wussten sie jedoch nichts und so ließen wir sie in der Gosse liegen und machten uns auf den Weg in die Hauptstadt.

Als ich schon nach wenigen Minuten nicht mehr laufen konnte, nahm mich Henry Huckepack und Karlheinz begann ein azerbaijanisches Volkslied zu singen, um mich ein wenig aufzuheitern. Meine Stimmung war im Allgemeinen recht miserabel, da wir doch extra die Reise hierher unternommen hatten, um meine Fahrräder wieder zu finden, und sie wurde auch nicht besser als uns auf einer schmalen, mit Landminen gepflasterten Straße ein Haufen Kinder entgegen gelaufen kam, die uns um Essen anflehten. Immer wieder riefen sie „Trick or Treat“, bespuckten uns und sprangen an Henry und Karlheinz hoch und versuchten mit ihren kleinen abgemagerten Fingerchen auf sich aufmerksam zu machen und ab und zu stolperte auch eines von ihnen in eine der Minen und wurde unter ohrenbetäubendem Lärm in tausend Einzelteile zerfetzt und über die umliegenden Felder verteilt. Anfangs versuchte ich noch, das Gejammer zu überhören, doch irgendwann konnte auch ich dem Wahnsinn nicht mehr mit trockenen Augen entgegenblicken und mein Mitleid wurde letztendlich so groß, dass ich mich entschloss, zumindest einem der Fratzen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und nachdem es nicht ganz einfach war, aus dem Rudel von Knochen und Haut das ärmste der Kinder herauszusuchen, entschloss ich mich, abzuwarten, wer bis zum Ende durchhielt und nicht so blöd war, in einer der Landminen zu steigen.

Kurz vor den Toren Bakus kristallisierte sich dann schon langsam heraus, wer diesen kleinen, von mir ins Leben gerufenen, Contest gewinnen würde und tatschlich schaffte es einzig der kleine Junge, dem ich den Namen Willi gegeben hatte, zu überleben. Er war von Anfang an so eine Art Geheimfavorit für mich gewesen und so adoptierte ich ihn auf der Stelle und ließ ihn von Karlheinz bis in die große Hauptstadt tragen. In dem Viergespann kletterten wir noch in dieser Nacht über die Mauern der Stadt und fanden Unterschlupf in einer Fabrik, in der aus gestohlenen Autoteilen neue Autos gebastelt wurden. Dort fanden wir auch die Autositze meines Maybach wieder und verbrachten darauf den Rest der Nacht.

MEIN FERNSEHER UND ICH

02_Fernseher_optimiertGestern habe ich endlich wieder einmal ferngeschaut. Ich wusste am Abend einfach nichts Besseres zu tun und als ich so im Wohnzimmer am Eisbärenfell vorm Kamin stand und gelangweilt vor mich hinüberlegte, ob ich lieber den 1734 oder den 1492 Portwein knacken sollte, da schob sich das Fernsehgerät in mein Blickfeld. Obwohl es ohnehin nicht leicht zu übersehen ist, denn mit einer diagonalen Spannweite von 27 Metern füllt es doch knapp eine ganze Zimmerwand aus. Und da ich zur Abwechslung einmal nicht auf ein Charity-Event, eine Gala, einen Ball oder anderes VIP-Getümmel eingeladen war, ließ ich mir von Henry die Fernbedienung am Silbertableau bringen und hievte meinen fetten Arsch mit einem gekonnten Hechtsprung auf das B&B Italia Sofa. Henry, mein Haushälter und Butler, war so freundlich das Gerät auch gleich einzuschalten und mir dann die Füße zu massieren. Was täte ich nur ohne Henry?

Nun ist es aber nicht ganz ohne Grund, dass ich so lange dem Flimmerkasten abgeschworen hatte: Vor mehreren Monaten nämlich, es war ein Sonntag und so gegen Mittag, läuteten auf einmal zwei Herren im Anzug bei mir zu Hause an. Sie hatten ein kleines Büchlein bei sich, in dem wohl wichtige Worte geschrieben standen und auf ihr höfliches Bitten hin, ließ Henry sie eintreten. Ich war noch im Morgenmantel und empfing sie im Vorraum auf der Chaiselongue Edwards. Bei Jasmintee und Blaubeerkuchen erklärten sie mir dann, dass ich unbedingt allem Schlechten abschwören müsse – so auch dem Fernsehen. Denn im Fernseher, da wohne der Teufel. Viel mehr noch sei der Apparat, so argumentierten sie fachlich und logisch, ein Werkzeug des Teufels, das ausschließlich zur Manipulation der Menschheit diene. Des Weiteren dürfe ich, beim Akt und auch so im Alltag, keine Kondome mehr tragen und müsse ihrem Verein viel Geld spenden.

Nun haben die Spendenchecks meinem wohlgenährten Börserl nichts ausgemacht, doch die vielen Abtreibungen, die ich all den 15-jährigen Mädels zahlen musste, die ich so dann und wann entjungfert und geschwängert hatte, waren nicht steuerlich absetzbar und so verwarf  ich die schnöden Glaubensätze, legte mir eine 100 Stück Packung hauchdünne Verhüterli zu und erlaubte es mir, wieder mal zu glotzen bis der Arzt kommt. Und wie ich so durch die Kanäle zappe und nicht recht ein passables Programm zu finden ist, bleibe ich eben beim Fußball hängen und lasse mich von 22 durchtrainierten Körpern in farbigen Kostümen und einem runden, bunt bemalten Ball begeistern. Was den Römern Brot und Spiele waren, das ist dem Wiener Bier und Fußball, so sinniere ich vor mich hin, als plötzlich eine Sturzszene immer und immer wieder gezeigt wird. Und wie ich mir noch überlege, was denn während der Wiederholungen tatsächlich am Spielfeld passiert und ob die Kicker sich währenddessen vielleicht ein Kebab kaufen gehen oder eine Tschick anrauchen, bemerke ich plötzlich, dass sich die Sportler in Balletttänzer und das Stadion in die Wiener Staatsoper verwandelt haben. Nicht ein Fußballmatch, sondern die Wiederholung der Live-Übertragung des Opernballs 2009 hat man mir vorgesetzt. Und das brauche ich nun wirklich nicht.

Also lasse ich Henry den Sender wechseln und bin dann bei der Live-Übertragung des 40. Life-Balls vor dem neuen Wiener Rathaus. Die Ansprache des frisch geouteten Bürgermeister-Kanzler Strachèe ist schon vorüber, als Gery Keszler in seinem schwebenden Hover-Rollstuhl auf die Bühne saust, um den Crystal-Meth Award ein paar abgemagerten Models zu verleihen. Die glücklichen Gewinnerinnen machen einen Stagedive in die tobende Menge und zerbrechen dabei in tausend Scherben. Doch auf der Bühne geht’s schon weiter und Michael Jackson wird von zwei Bühnenarbeitern in einem gläsernen Sarg auf die Bühne getragen und neben dem Mikrofon postiert. Mühevoll zerren sie seinen Kadaver aus dem Glaskasten und vom einen Ende der Bühne ans andere, wobei die Puppenspieler auf den Schnürböden ihr Übriges tun, um dem toten Popstar noch ein paar hippe Moves zu entlocken. Als die Playback-Version von They Don’t Care About Us dann fertig abgespielt und die zerfledderte Leiche von Michael wieder zusammengekehrt ist, zeigt man die Modenschau des ersten blinden Designers der Welt. Die Kleidungsstücke sind den Umständen entsprechend hässlich, doch Gery Keszler verleiht auch ihm einen Award. Und als der blinde Designer, mit der schicken Sonnenbrille auf der Nase, die Bühne verlassen will, stürzt er über den liegen gelassenen Glitzerhandschuh des King of Pop und fällt in den Orchestergraben, wo er im Mundstück einer Tuba landet und darin verschwindet. Gery Keszler will ihm gerade noch nachfliegen und ihn retten, da saugt sein Hoverstuhl den Handschuh ein und es gibt eine riesige Explosion…

In dem Moment wache ich schweiß- und blutgebadet auf dem Sofa auf. Alles nur ein Alptraum, vermutlich von den Teufeln im Fernseher heraufbeschworen. Henry, von meinen verzweifelten Schreien im Schlaf geweckt, eilt herbei und sieht das Schlamassel. Und es stellt sich heraus, dass ich mir zwar verkrampft auf die Lippen gebissen hatte, die roten Flecken auf meinem Morgenmantel aber vom verschütteten Portwein herrührten. Zu müde zum Gehen, schultert er mich und trägt mich hinauf in den ersten Stock ins Badezimmer, wo er mir die Zähne putzt und mein schütteres Haupthaar durchkämmt. Dann legt er mich behutsam in die weichen Federn meines Himmelbettes und singt mir ein beruhigendes Schlaflied.

JUNG UND SPRITZIG

01_Pille

Ich fühl mich jetzt endlich wieder jung. Jung und spritzig. Und daran ist nicht einmal eine Hautcreme schuld. Ich muss mich gar nicht von oben bis unten einschmieren, damit sich mein alter Körper wieder straff und jung anfühlt. Es reicht, wenn ich jeden Tag drei Kapseln schlucke. So verspricht es die Pharmafirma auf dem Beipackzettel und im Fernsehen. Drei Kapseln am Tag und Sie fühlen Sich wie neugeboren, oder so ähnlich ging dieser Werbeslogan. Aber nicht, was Sie jetzt denken, nicht irgend so ein billiger Scheiß aus dem Fernsehen, aus so einer Dauerwerbesendung, in der sich drei verrunzelte alte Frauen gegenübersitzen und auf einem kleinen Verkaufstischchen in ihrer Mitte eine Packung Tabletten steht, die perfekt in Licht und Szene gesetzt wurde und deren Inhalt von allen Alterserscheinungen befreien soll. Wobei verrunzelt sind die ja meistens nicht. Für unser Publikum vor den Fernsehgeräten nur das Beste aus den Salons der plastischen Zauberchirurgen der Creme de la Creme. Tadaaaa, ein Wunder.

Nein, alles echt und von seriösen Firmen getestet und kontrolliert. Und die Werbung ist eine echte Fernsehwerbung. Also nicht so lang und übertrieben, dafür aber wirklich gut gemacht und außerdem hat es mir eine Freundin empfohlen, die es auch schon lange nimmt. Ein bisschen skeptisch war ich am Anfang dann nämlich doch noch. Aber sie hat mir bestätigt: Kein Hokuspokus, kein doppelter Boden. Ein echtes Heilmittel. Nicht einmal mit Rückgabegarantie. Warum? Ist doch klar! Das braucht so ein Medikament ja nicht. Und Sie bekommen auch nicht noch eine Packung gratis dazu, wenn Sie jetzt gleich anrufen. Die 27 Euro pro Kapsel muss es Ihnen schon wert sein, das medizinische Lifting. Schließlich muss niemand an Ihnen herumschnipseln. Es gibt keine Narben. Also wirklich gar keine Nachteile. Naja, kaum welche.

Jetzt bin ich nämlich drauf gekommen, dass die Kapseln in China von Koreanern erzeugt werden. Schlimmer geht’s wohl echt nicht mehr. IN China und VON Koreanern. Die haben bestimmt nicht viel verdient dabei, weil faire Kollektivverträge haben die dort ja nicht, in Nordkorea. Und wie ich das so im Internet lese, kommts dann doch noch schlimmer: In den Kapsel ist die Asche von toten Kindern. Also „pulverisiertes Menschenfleisch von toten Babys und Föten“. Irgendwie grauslich, aber es hilft halt. Scheinbar geht das nur so, wenn man wieder jung sein will. Dabei hat mir die Apothekerin versichert, dass es ein wirklich gutes Produkt ist. Also unter ethisch korrekten Rahmenbedingungen hergestellt und alles „bio“. So hat sie es gesagt, ja. Und das es gegen Krebs auch helfen soll, wenn sonst wirklich nichts mehr hilft, ist natürlich auch ein Punkt auf der Liste mit den Vorteilen. Eigentlich hat es ja nur Vorteile, mein Wundermittel, bis auf das mit der Kinderasche eben.

Und damit auch alles bewiesen ist, haben die auch noch DNA-Tests gemacht! Und wirklich: Die Untersuchungen haben ergeben, dass „sie zu 99,7 Prozent aus menschlichem Material bestehen.“ Irgendwie ja schon toll, was die Wissenschaft und die Technik heutzutage schon alles können. Also jetzt nicht wegen der DNA-Tests, sondern dass die auf solche Sachen kommen. Irgendwas muss man mit den ganzen toten Menschen ja machen, vor allem in China, wo es eh so viele davon gibt. Wenn man die nur vergraben würde, dann gäbs auf der Welt ja bald nichts mehr außer halb verwesten Leichen, oder? Denn rein mathematisch gibt es mehr tote als lebendige Menschen und so schnell verwesen die eben auch nicht. Irgendwas muss man also machen und wenn es dann auch gleich noch so hilfreich ist, für einen wie mich, dann ist es doch gleich doppelt gut!

Was aber schon blöd und ein bisschen makaber ist: Die Schmuggler, also die Angestellten der Pharmafirma, haben das Zeug in die ausgehölten Bäuche der Teddybären mancher der kleinen Fratzen gesteckt, die verfrüht „das Hangerl gworfen“ haben und so versucht, die Grenze nach Südkorea zu passieren, von wo aus mein Wundermittel nach Europa hätte verschifft werden sollen. Doch den Lastwagen mit Teddybären, die nach frisch Gegrilltem gerochen haben, dürften die denen dann doch nicht abgekauft haben. Und deshalb: Ende Gelände. Aus die Maus. Vorbei mit der Hexerei.

Mein Problem ist jetzt, dass die kleinen Falten unter den Augen langsam aber sicher wieder an ihren angetrauten Platz zurückkommen und mein alter Freund der Lungenkrebs sich auch gerade wieder einnistet. Tja, dann bleibt mir doch nichts anderes mehr übrig, als wieder meine allabendlichen Streifzüge durch die Krankenhäuser der Wiener Randbezirke zu machen und mir von den Böden der Kreißsäle ein paar liegen gelassene Mutterküchlein für den Nachtisch zu holen.