EINE ADVENTGESCHICHTE

13_MathildeMerry Christmast! Singt auch bei uns daheim jener Teil der Sängerknaben, der nicht ständig auf Welttournee ist. Aber nicht aus dem Radio, wie bei Ihnen daheim, werte Leserin, werter Leser, sondern live. Im Wohnzimmer! In einem kleinen Eck meines dreihundert Quadratmeter großen Untertagesaufenthaltsraumes, hinter den vielen ausgestopften Elefanten und Einhörnern, die sich in meine Sammlung einreihen, stehen sie, die dreihundert jungen Knaben, kurz vor der Pubertät, auf dem kleinen Podest, das Henry für sie eigenhändig gezimmert hat, dicht aneinander gedrängt und trällern mit ihren fröhlichen Stimmchen einen Weihnachtsklassiker nach dem anderen. 24 Stunden am Tag stehen sie da und singen und strapazieren ihre kleinen Stimmbänder, sodass manchmal ein Herr vom Werk kommen muss, um den teilweise nur noch krächzenden Burschen, die Stimmbänder zu tauschen.

Doch, lang ausgestreckt auf meiner Chaiselongue liegend, bekomme ich davon eigentlich nicht viel mit, als wieder einmal das Telefon klingelt. Henry stürzt, den alten Apparat im Arm, durch die Tripeltür herein, stolpert über einen ausgestopften Makaken und schmeißt den Hörer gerade noch so in meine Richtung, dass er perfekt in meiner rechten Hand zu liegen kommt.

Es ist der Herr Aiderbichl, vom Gut Eiderbichl. Er ruft an, weil es um meine zehn Gänse geht, die ich für das diesjährige Weihnachtsmahl habe mästen lassen. Jaja, das ganze Jahr über lasse ich mich alle zwei Monate einmal am Gut blicken, um nach dem Wohl der Mastgänse zu sehen und stopfe ihnen dann selbst noch einmal ein bisschen was vom Genmais in ihre ohnehin überreizten kleinen Hälschen. Herr Eiterbichl meldet, dass sich eine der Gänse, Mathilde, selbst das Leben genommen hat. Es ist tragisch, aber es ist so. Und sie ist nicht die erste. Und wird vielleicht auch nicht die letzte bleiben.

Die Gänslein fürchten sich nicht etwa vor ihrem unausweichlichen Schicksal, nämlich von meinen amateurhaften Tranchierkünsten einmal in ihre knusprig überbackenen Einzelteile zerlegt zu werden, nein!, sie sind schon so an das Gemästetwerden gewöhnt, dass sie, wenn sie einmal eine Minute lang nichts mehr zu Futtern bekommen, anfangen sich selbst aufzufressen. Übrig bleibt dann so ein großer Ballen aus Fett, Fleisch und Federn. Und sowas will man seinen Gästen am Heiligen Abend wirklich nicht vorsetzen. Also erteile ich Herrn Eiterpichl via Telefon den Befehl, die tote Gans an die anderen zu verfüttern. Dann war das Mästen von Mathilde wenigstens nicht ganz umsonst.

Er tröstet mich und meint, den anderen Gänsen, Berta, Frieda, Franz und wie sie alle heißen, ginge es gut – sie gedeihen prächtig. Berta, die mittlerweile dreihundert Kilogramm auf die Brückenwaage bringt, hätte sogar kleine Küklein geboren. Küken von der Größe fast ausgewachsener Stiere. Tatsächlich geben wir den Küken, wenn keine Kühe mehr da sind, manchmal junge Kälber und hin und wieder einen Stier zu fressen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ein bisschen traurig von der Nachricht, schmeiße ich Henry den Hörer an den Kopf, doch er fängt ihn gekonnt auf, während er sich noch immer aus der Umklammerung des toten Makaken zu befreien versucht und serviert mir nur kurze Zeit später ein saftiges Gänseleberpastetensandwich. In einem kleinen Schälchen neben dem Teller auf dem Platintablett, auf dem Henry alles so liebevoll angerichtet hat, liegt ein goldgeprägtes Kärtchen auf dem steht: „Sehr geehrter Herr Doktor! Noch während wir telefonierten, habe ich Ihnen ein Stückchen von Mathilde vorbeibringen lassen, damit Sie Sich von der Qualität unserer zarten Tierchen selbst überzeugen können.“

Schnell ist er, der Herr Eiterpickl, denke ich mir, klappte die beiden Weißbrotscheiben auseinander und schlecke mit einer Trauerträne auf der Wange die Pastete pur aus dem Sandwich. So hat Mathilde auch mir ihren letzten Dienst erwiesen. Wirklich eine gute Qualität!

Henry, der in letzter Zeit meinen übermäßigen Feudalismus zunehmend als abstoßend zu empfinden scheint, übergibt sich neben mir in eines der Speibsackerl, mit denen er seine Sakkotaschen präventiv ausgekleidet hat. Vielleicht werde ich mir bald einen neuen Ergebenen suchen müssen.

PLASTIK ADE

09_Plantage_optimiert

Neulich hat mir Henry gesagt, er habe in einem Artikel in der New York Times gelesen, dass Plastiksackerl gar nicht so gut sind für den Planeten. Englisch kann er, der Henry, also hab ich ihm auch geglaubt. Das große Problem war dann aber nicht so sehr das Einkaufen, da hab ich mir einfach jedes Produkt einzeln von meinen 99 Dienern nach Hause tragen lassen, das hat ganz witzig ausgeschaut, so im Gänsemarsch, nein, die Herausforderung hat sich mir erst beim Einfrieren der gepflückten Vitamine gestellt.

Auf meinem 3 Hektar großen Grundstück gleich außerhalb von Wien und den angrenzenden 4000 Hektar Bananen- un09_Eigenanbaud Kokosnussplantagen wachsen übers ganze Jahr verteilt knappe 800 Milliarden Tonnen Obst, Gemüse und viele tausend Liter Trockenmilch. Und nachdem ich nicht nur die Verantwortung für die Produkte übernehme, sondern sie auch alle selbst in weniger als 30 Minuten nach der Ernte haltbar mache, hab ich mir nach der Verbannung von Plastik aus meiner Landwirtschaft eine neue große Frage stellen müssen.

Die Antwort hat sich nicht in Glaseprouvetten, sondern in der alt bewährten Papiertüte gefunden. Nach einer Vielzahl von Versuchsreihen hat sich das Ökopapier, und das wird vor allem unsere umweltschützenden KundInnen sehr freuen, mit den besten Ergebnissen hervorgetan. Zwar haben gefrorene Erdbeeren, Marillen und Himbeeren einen recht penetranten Beigeschmack von recyceltem Klopapier und es finden sich auch häufiger Papierschnipsel im aufgetauten Früchtemix, weshalb wir in dieser Produktlinie das Esspapier als Verpackungsmaterial für Optimal befunden haben, aber das wichtigste ist und bleibt, dass wir der Natur einen guten Dienst erwiesen haben und so bestimmt niemand mehr zu Schaden kommt.

DAS OZONLOCH UND ICH

08_OzonlochWie allseits bekannt sein dürfte, haben die heißbegehrten Sommerferien nun auch in die letzten elf Kantone der Schweiz Einzug gehalten und so liegt es nahe, dass man in irgendein Land der Welt auf Urlaub fährt oder fliegt, wenn man es sich denn noch leisten kann. Heutzutage soll es ja doch viele arme Schweine geben, die sich so kurz nach der Finanzkrise keinen Urlaub mehr leisten können und die sogar ihren Mercedes SL, den heißgeliebten Maserati oder gar den Airbus Privatjet verkaufen mussten, damit in der Früh wenigstens noch ein bisschen warmes Wasser aus dem Duschkopf fliest. Diese Menschen tun mir zwar Leid, aber ich kann ihnen auch nur helfen, indem ich das Land für einige Zeit verlasse, damit sie mehr warmes Wasser zur Verfügung haben und deshalb habe ich mir dieses Jahr ein ganz außergewöhnliches Reiseziel ausgesucht.

Gerade wo es in den letzten Wochen hierzulande schon Frösche in der Größe von ausgewachsenen Katzen geregnet hat, habe ich mich aus Langeweile einmal von Henry in das Reisebüro meines Vertrauens kutschieren lassen, wo mir Herr Schadstoff, der Reiseberater meines Vertrauens, ein vollkommen neues Reiseerlebnis präsentiert hat. Zurzeit liegen nämlich Reisen zum Ozonloch voll im Trend. Und da ich das Meer seit meiner letzten Barcelonareise ohnehin nicht viel lieber gewonnen habe und ansonsten schon in fast allen Herren- und Frauenländer der Welt gewesen bin, habe ich mich, trotz meiner ungeheuren Höhenangst, zu dem Abenteuer überreden lassen und gleich noch erfahren, dass das Ozonloch eigentlich von allen Leuten vollkommen missverstanden wird und vor allem von den Medien, durch deren krankhafte Gehirnwäsche, mit einem schlechten Beigeschmack in die Köpfe der Menschheit implantiert wurde.

Das Ozonloch ist nämlich der misslungene Versuch seitens der blauen Ozonschicht, also des Himmels, der Erdbevölkerung den einmaligen und einzigartigen Blick ins Weltall zu gewähren. Und dieses farbenfrohe Lichtspiel, so erklärte es mir Herr Schadstoff, sei am besten von den Fenstern jenes EUR 400.000 teuren Raumschiffes aus zu beobachten, dass ich mir für jene Reise auch flugs gemietet habe. Das umweltfreundliche Gefährt wird ausschließlich mit der, aus der Vorfreude der Passagiere gewonnenen, Energie betrieben und hat damit jenen Flugzeugen, die seit vielen Jahrzehnten schon versuchen, das Ozonloch mit ihren Kondensstreifen zu stopfen, vor allem in punkto Nachhaltigkeit, einiges voraus. Nämlich schützt es das Ozonloch davor, von den Klimaschützern und anderen Verrückten, die die ganze Sache grob in den falschen Hals bekommen haben, geschlossen zu werden. Und nachdem Henry und meine Wenigkeit schon unheimlich motiviert waren, endlich in das moderne Luftvehikel zu steigen, hatten wir auch schon genug Treibstoff für unsere Reise.

Schließlich habe ich mir dann gedacht, wenn ich schon einmal so nahe dran bin am Ozonloch, mache ich gleich auch noch einen Ausflug hinaus ins Weltall, denn die Gelegenheit, so knapp am Ausgang zum Universum zu sein, hat man ja nicht alle Tage und andernorts ist das ja auch nur schwer möglich, wo die Ozonschicht doch bekanntermaßen undurchdringbar dick ist. Womit ich allerdings nicht gerechnet habe: Dass sich zu meiner Höhenangst, so viele Meter über dem Erdboden, auch noch eine galoppierende Klaustrophobie, in der nicht allzu großen Raumkapsel, gesellen würde.

Mehr über meine Erlebnisse im bunten Weltall erfahren Sie nächste Woche in ihrem Seitenblicke Magazin.

DAS MEER UND ICH

07_Strandkorb_optimiertAls Nichtschwimmer habe ich ja eigentlich immer schon eine besonders große Angst vor dem Meer und Wasser im Allgemeinen gehabt, doch hat mich Henry kürzlich davon überzeugt, mich auch für ein paar Tage zu den Reichen und Schönen an die weißen Sandstrände Barcelonas zu gesellen, mit dem Versprechen, er würde mir das Schwimmen beibringen. Nur wenige Flugstunden nach dieser Blitzentscheidung und einen weiteren wasserbruchgelandeten Airbus A380 weniger, lag ich auch schon in Mitten entblößter, gebräunter Oberweiten, der gute Henry, mir mit einem Palmwedel frische Luft zufächelnd, neben unserem Strandkorb. Man kennt die ansprechende, freizügige Schamlosigkeit der Spanierinnen ja vom Hörensagen, aber der Anblick, der sich mir in diesen Tagen bot, übertraf sämtliche Gerüchte und Geschichten, die mir je zu Ohren gekommen waren. Zeitweise hatte ich sogar mehr Brüste als Strand vor Augen.

Sich an der weiblichen Vollkommenheit satt gesehen habend, drängte mich Henry schon bald, die ersten Schritte ins doch noch frisch-kühle Meer zu machen. Der Sicherheit wegen hatte er mir Schwimmflügel, nicht Schwimmflügerl, angelegt, mit denen man quasi im Wasser fliegen konnte. Nachdem ich meine Flugangst aber erst seit einem knappen Jahr überwunden hatte, spendete mir auch dieser Umstand nicht allzu viel Trost, außerdem rieben mir die Plastikflügel die Oberarme wund. Henry, der viele Jahre hindurch britischer Staatsmeister im japanischen Schmetterlingsschwimmen gewesen war und dessen entfernter Cousin, Herbert (Bertl), Bademeister im Wiener Amalienbad war, hatte eine enge Verbindung zum Wasser und wusste wohl, wie man Kleinkindern das Schwimmen beibringen konnte, doch hatte er mit mir so seine Schwierigkeiten. Zwar hielt er mich nur am Rumpf und gab mir klare Anweisungen, doch gelang es mir immer wieder, dass mir die Badehose von den Hüften glitt und ins Meer hinaus getrieben wurde. Auf diese Weise verbrauchte ich innert drei Tagen knappe 300 Badehosen in allen Regenbogenfarben und Mustern und verschluckte mehrere Liter urinversetztes Salzwasser, als manch anderer im ganzen Leben.

Henrys unermüdliche Versuche mir den Wassersport näher zu bringen, nahmen ein jähes Ende, als er am vierten Tag unserer Reise von einem, noch nicht vollständig ausgewachsenen, viereinhalb Meter langen, Weißen Hai ins rechte Bein gebissen wurde. Der tapfere Henry wollte sich zuerst seine Schmerzen nicht anmerken lassen und so fiel mir der Haibiss auch erst auf, als wir zurück zu unserem Strandkorb gingen. Doch es kam noch schlimmer! Nicht nur, dass Henry schon im Meer stark von der Fleischwunde geblutet hatte und nach wie vor eine unübersehbare Blutspur durch den Sand zog, so hatte er offensichtlich auch vergessen, Sonnenschutz aufzutragen, nachdem er mich eingecremt hatte und war am ganzen Oberkörper so rot, wie das Blut, das in Strömen aus seinem Bein floss. Und das wohl größte aller Übel: Eine paar flinke Finger hatten mein gesamtes Hab und Gut und Henrys AfterSun-Lotion aus dem Strandkorb gestohlen und nicht einmal ein paar Hühneraugenpflaster aus meinem Necessaire zurückgelassen, mit denen ich Henrys Wunde hätte provisorisch verarzten können.

Man hatte mich ja schon vor unsere Abreise gewarnt, dass die Barcelonesen ganz hinterhältige Straßen- und Taschendiebe waren, aber dass sie ganze Strandkörbe leerraubten und so den Azerbaijanern in ihrer Flinkfingrigkeit um Nichts nachstanden, verstörte mich auf ein Neues. Einzig mein AMEX Black Card Emergency Service konnte uns in dieser Situation noch helfen. Die netten Herren in Schwarz, die prompt zur Stelle waren, brachten Henry in das beste Krankenhaus Barcelonas, wo ihm vom besten Chirurgen der Welt, der sich auf Haibisse spezialisiert hatte, gleich ein neues Bein gebastelt wurde, sodass er schon wenige Stunden nach dem Vorfall wieder gehen und mir mit dem Palmwedel Schatten und frische Luft spenden konnte. Mir hatten die Anzugträger eine neue Karte überhändigt und mir in Windeseile alle verloren gegangenen Gegenstände ersetzt und nach meinen Anweisungen auch wieder im Strandkorb platziert.

Nachdem der größte Schock überstanden war, hatten wir uns am frühen Abend des darauf folgenden Tages wieder zu unserem Strandkorb begeben. Gemütlich in der Abendsonne schlummernd, von Henry mit einer Sangria Grande gesäugt werdend, fielen mir mehrere Leute auf, die verdächtig am Strand patrouillierten. Sie hatten alle einen azerbaijanischen Touch und einige von ihnen trugen Metalldetektoren, mit denen sie den Sand absuchten, während andere nur mit ihren bloßen Füßen in kleinen Quadranten den Sand nach vergessenen Wertgegenständen durchwühlten. Ich hatte nicht nur die Vermutung, nein, ich war mir sicher, dass das die Diebe waren, die mir den Urlaub vermiest hatten. Wenigstens hatten sie bei ihrer Suche kaum Glück, doch gerade das brachte mich auf die glorreiche Idee, die mir schließlich den Rest des Urlaubs versüßte. Ich ließ mir von Henry mehrere Rollen mit 10 Cent Münzen von der Bank holen und vergrub sie in regelmäßigen Abständen und verschiedenen Mustern nicht allzu tief im Sand und konnte so die diebischen Schatzgräber durch den Sand dirigieren. Mit der Zeit entbehrte jedoch auch diese Tätigkeit jeder Spannung und so ließ ich manche von ihnen bis weit hinaus ins Meer laufen, bis die Münzspur am Meeresboden abrupt ein Ende nahm, sie erkannten, dass sie schon lange unter Wasser waren und eigentlich keine Luft mehr zum Atmen hatten und kläglich ertranken.

Trotzdem ich einen rechten Spaß an dem Spiel hatte und auch viele Erfolge erzielte, wurde ich langsam aber sicher eines Umstandes gewahr, der schon bald nicht mehr zu übersehen war: Der Sand am Strand war von Tag zu Tag weniger geworden. Ab und an waren sogar große Löcher im Strand, in die die Touristen untertags hineinstolperten und aus denen man oft noch bis tief in die Nacht die Hilferufe der Unglücksraben hörte, bis sie langsam leiser wurden und die krächzenden Stimmchen irgendwann ganz verstummten. Auch einige Schatzsucher hatte ich mit Münzfährten in die Krater im Sand gelotst, doch die Frage, welche Kraft der Erde hinter diesem Sandschwinden stecken konnte, blieb ungeklärt, bis ich eines Nachts vom Lärm mehrere Schaufelbagger geweckt wurde, die tonnenweise Sand in gigantische LKWs füllten auf denen in großen blauen Buchstaben „Tel Aviv Beach“ geschrieben stand. Und nachdem die Frage unserer Heimreise ohnedies noch nicht geklärt war, nahmen uns die Sanddiebe, auf mein nettes Bitten hin, hinten auf ihren Ladeflächen, mit nach Hause, in mein viel geliebtes Wien.

BEGAFFT UND BEGATTET

06_Buchcover_Begafft_optimiert Geschätzte Leserinnen und Leser!

Ich habe mich leider entscheiden müssen, Sie mit der Publikation des Artikels „Ich, der Doktor“ noch ein wenig hinzuhalten, da einige wichtige Passagen des Textes kurz nach der Fertigstellung vom gemeinen Lesewurm verspeist wurden, der manchmal hier sein Unwesen treibt. Normalerweise sperrt Henry die, auf meiner Schreibmaschine verfassten, Manuskripte immer sofort in unseren hermetisch abgeriegelten Safe, wo das Ungeziefer keine Chance hat, meine Arbeit zu zerstören, doch auch der gute Henry wird langsam vergesslich und in meinem aufgewühlten Zustand war es mir bislang nicht möglich, mich mit der Korrektur des zerstückelten Artikels zu beschäftigen. Insofern wünsche ich viel Vergnügen mit einem Auszug aus meiner Autobiografie „Begafft und Begattet“ erschienen im Jahr 2004 und erhältlich bei allen OMV Tankstellen und ausgewählten Partnern der BP-Group.

Band 1 von 27 – Kapitel 1: Genesis

Meine Geschichte hat ja schon einmal einen recht unglücklich Anfang genommen, als sich der Storch, der mich zu Hause in Wien abliefern sollte, entscheiden hatte, nicht den weiten Weg in den Norden zu nehmen, sondern bei einem burgenländischen Heurigen einzukehren und mich kurzerhand dorthin mitgenommen hatte. Während sich also das faule Federvieh einen hinter die Binde kippte, lag ich, knappe 40 cm groß und nur mit einem luftigen Leinentuch bekleidet, auf dem kalten Erdboden hinter der Ausschank und verfasste in mitten des Trubels der mich umgebenden Saufgesellschaft mein erstes und bis heute meistrezitiertes Gedicht mit dem zugegebenermaßen etwas unglücklich gewählten Titel „Jetzt schlägt es dreizehn“. Der vierzeilige siamesische Hexameter mit doppelt geflochtener Zäsurenspiegelung beschrieb auf sehr gefühlvolle Weise die Geburt und den Niedergang eines in einer Seitengasse der Milchstraße vergessenen Sterns, der einst dem Gestirn der Pendeluhr zugehört hatte und den klingenden Namen Xmirgz III trug und gab dem Publikum, wo immer auf der Welt das Gedicht auch aufgesagt wurde, durch diese subtile Metapher einen Hauch der Ahnung der Einsamkeit, die ich beim Verfassen der Zeilen empfand. Zu allem Übel jedoch wurde der Holztresen, in den ich mit ein paar Glasscherben, die auf mich herunter geregnet waren meine erste Schöpfung graviert hatte, nur wenige Jahre später von einem amerikanischen Hypermilliardär, der kostenbaren Inschrift unwissend, bei einer Weinverkostung und anschließender Auktion zu dem lächerlichen Gegenwert von zweieinhalb asiatischen Wasserbüffeln, auch Bubalus Bubalis genannt, ersteigert.

Der damalige Besitzer der Bar, ein im Grunde gewiefter Winzer aus dem nördlichen Südburgenland mit einem abartigen Fetisch für seltene Haustiere, hatte nicht nur den Tresen, sondern sein ganzes Hab und Gut für die domestizierten Wasserbüffel hergegeben, die sich fortan in seine Sammlung, bestehend aus zwei Zentauren, dem letzten Einhorn und vierundzwanzig australischen Kakadus, die auf Zuruf vierstimmig die Internationale singen konnten, einreihten. Herr Traubenklauber, der Winzer, der sich mit seinem tierischen Gefolge Richtung Wien aufmachte, um dort Zirkusdirektor zu werden, starb jedoch schon kurze Zeit nachdem er seine letzte Errungenschaft gemacht hatte, in einem Straßengraben nahe Wiener Neustadt an einem äußerst tückischen Schnupfen, den die Büffel auf ihn übertragen hatten, wie er in seinen Jahre später aufgetauchten Memoiren den Teil der Welt, der daran Interesse hegte, wissen ließ. Sein bis dahin unerklärtes Dahinscheiden hatte tatsächlich eine Vielzahl von Menschen fasziniert und sogar zur Gründung mehrerer Sekten geführt, die sich mit dem Erscheinen des Werkes und ob der Schande über den tatsächlichen Hergang seines Ablebens schlagartig auflösten oder sich einen neuen Götzen schufen und so gab es auch niemanden mehr, der die Pilgerfahrten Richtung Wiener Neustadt, zu dem berühmten Straßengraben, machte.

Der glückliche Ersteigerer des Tresens, der nebenbei auch noch seine kranken Wasserbüffel losgeworden war, wurde der Gravur auf dem Holzmöbel erst viele Dekaden später gewahr, als er während der Feierlichkeiten anlässlich seines 60. Geburtstages beinahe an den übergroßen Goldplättchen in seinem Kaviar-Sekt-Mischgetränk erstickte und unter heftigen Zuckungen direkt neben dem Tresen zu liegen kam, wo ihm exakt jene Stelle in den Blick geriet, die ich einst mit meinen Versen geziert hatte. Doch diese Geschehnisse lagen alle noch in weit entfernter Zukunft, als ich meine ersten Stunden hinter der Ausschank verbrachte und in den berauschenden Genuss des passiven Alkoholismus kam. Mein Rabenvater, der betrunkene Storch, hatte sich schon mehrmals übergeben und war letzten Endes nicht mehr fähig gewesen, mich bis nach Hause zu fliegen und so schleifte er mich, mein Leintuch im Schnabel, heftig torkelnd bis zu seinem Heimatnest, hoch oben auf einem schilfgedeckten Dach am Rande des Neusiedlersees.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #3

05_Gestänge_optimiert Es war einfach unvorstellbar, was sich in der Kristallhalle alles tat. An allen Ecken wuselte es vor Arbeitern und eine Heerschar von Sklaven, kommandiert und ausgepeitscht von geldgierigen Sklaventreibern in Anzug und Krawatte, war damit beschäftigt, Tribünen und gewaltige Bühnenkonstruktionen, ganze Container voller Lautsprecher und Equipment und natürlich die Wohnmobile der KünstlerInnen unter verschwitztem Ächzen und Stöhnen von einem Ende der Halle ans andere zu karren. Es kam uns allen so vor, als wäre ganz Baku damit beschäftigt gewesen, für das bevorstehende Event, das dem ganzen Land schlagartig aus der grassierenden Arbeitslosigkeit zu verhelfen schien, die Welt auf den Kopf zu stellen und das Unmögliche möglich zu machen. Ähnliches hatten auch wir geschafft, als wir am frühen Nachmittag die 3 Meter hohe Absperrmauer rund um das Gebiet, mithilfe einer Räuberleiter, deren Erfindung man einem ganz gewieften Azerbaijaner zusprach, überwunden hatten. Angelina, die nunmehr das fünfte Rad an unserem noch vollständigen Wagen verkörperte, wurde von den Sicherheitsleuten sofort erkannt und so hatte man uns, zu unserer eigenen Sicherheit wie es hieß, gefesselt und in Jutesäcke gestopft, in die Halle und dann in die appartementgroße Loge von Madame Jolie, oder Angie, wie wir sie nennen durften, gebracht.

Und hier saßen wir nun, in dem Luxus, den ich gewohnt war und den Willi sich in seinem vormaligen, wellblechüberdachten Drecksloch von Behausung neben dem Atomkraftwerk, dass sein Dorf verdrängt hatte, nie hätte erträumen können und genossen Kaviar und kleine Leckerbissen vom Buffet, das man vor uns aufgebaut hatte, während wir das wilde Treiben, der von hieraus ameisengroßen Wichtel, tief unten am Boden der Halle beobachteten. Angie, die großes Mitleid für Willi fühlte, hatte 50 Flaschen des teuersten Veuve Clicquot der Welt einfliegen lassen und ein livrierter Diener goss den Champagner geduldig Flasche für Flasche in eine riesige Badewanne, in der sich der kleine Stinker dann von all dem Schmutz und den schweren Schicksalsschlägen seiner bisherigen Kindheit reinwaschen durfte. Überhaupt spielte man, wie man so schön sagt, alle Stückeln für uns und als mich Henry,  dem seine kürzlich eingefangene Magendarmgrippe nach wie vor fürchterliche Schmerzen bereitete, endlich satt und zufrieden auf eines der King Size Himmelbetten in der Loge gelegt hatte, überkam mich der Wunsch, mir das Gewusel der Sklaven in der Halle genauer anzuschauen. Ich ließ meinem braven Butler einen Thermophor bringen und ihn an meiner statt in der sagenhaft großen Bettstadt zur Ruhe kommen, damit auch er sich einmal von all den Anstrengungen erholen konnte und orderte für mich und Karlheinz eine vergoldete Sänfte und vier muskulöse Träger, die uns hinunter zum Ort des Geschehens bringen sollten.

Es führte nur ein einziger sehr steiniger und stufenreicher Weg abwärts und da die, als Tagelöhner getarnten, Langfinger keine ausgebildeten Sänftenträger waren, passierte es hin und wieder, dass unser Gefährt kippte, wir beide hinauskullerten und auf dem harten, kalten Boden zu liegen kamen. Bei einem dieser Missgeschicke hatte ich das unverhoffte Glück, einen Blick in eine der anderen Logen werfen zu können und erspähte darin Wladimir Wladimirowitsch Putin und die anderen Staatsüberhäupter all jener Länder, die ins Finale des Songcontest gekommen waren, wie sie teils gemütlich, teils angespannt um einen großen Konferenztisch herumsaßen, auf dem ein riesiges Minopoly Spielbrett lag. Wladimir war gerade aufgesprungen und schrie in seltsam reinem Deutsch, er wäre nicht bereit, noch mehr Geld zu zahlen, um den russischen Teilnehmerinnen, seinen sechs Großmüttern, den Sieg zu ermöglichen. Schließlich hätte er schon fast das ganze Event durch seine Spenden finanziert und könne nicht noch mehr Steuergelder veruntreuen. Doch erst als wir wieder in die Sänfte zurück geklettert und schon fast unten angekommen waren, fiel mir auf, dass auf dem Tisch kein Spielgeld, sondern nur echte Scheine und Münzen gelegen hatten und die Spielfiguren kleine bronzene Miniaturen der echten KandidatInnen darstellten. Karlheinz hatte mir in der Zwischenzeit erzählt, dass die GewinnerInnen des Songcontest schon viele Jahre vor dem eigentlichen Ereignis feststünden und danach ausgesucht wurden, welches Land bei dem Spiel mehr Scheine auf den Tisch legte. Weiters hatte scheinbar der schwedische König aufgrund seiner Geldnot schon überlegt, seinen neugeborenen Nachkommen als Einsatz in die Runde zu werfen, als die anderen Staatschefs ihm aus Mitleid den Sieg zusprachen.

Knappe 200 Meter unter der Überdachung der gigantischen Veranstaltungshalle waren wir nun, an Knien und Ellbogen zerschunden, mitten im Getümmel und wurden durch den Sud der raunenden Sklavenarbeiter getragen, die mühselig alle Gerätschaften auf Baumstämmen durch die Gegend rollten, da es für die horizontale Bewegung großer Lasten hierzulande sichtlich noch keine andere Technik gab.  Und als ich meinen Blick gelangweilt umherschweifen ließ, entdeckte ich einen Tatbestand, der mir insgeheim und intuitiv schon seit unserer Ankunft in Azerbaijan in gewisser Weise klar gewesen war. Denn nicht aus reinem Zufall hatte uns das Schicksal auf diesen05_GelbeLichter_optimiert unwirtlichen Pfaden bis hierher geführt. Schweren Herzens musste ich feststellen, dass große Teile der Hallenkonstruktion aus den Rahmengestellen meiner 216 verschwundenen Fahrräder gebaut worden waren. Auseinandergeschnitten und wieder zusammengeschweißt, fast unkenntlich, doch für mich, dem jedes dieser Räder einem zu behütenden Kind glich, unverkennbar die meinigen. Ich sah hie und da noch einen gelben Reflektor durch das Gestänge blitzen und unter dem unsäglichen Schmerz ob des Wiedersehens mit meinen zweckentfremdeten Gäulen fast zusammenbrechend, ließ ich uns wieder in die Loge zurücktragen.

Auf halbem Weg zurück nach oben zu den Reichen und Schönen kamen uns Angie, die Willi im Arm trug und Henry, der mit schmerzverzerrtem Gesicht hinterdrein humpelte, entgegen. Der kleine Willi lachte und freute sich zum ersten Mal, seit ich ihn mir auf der minengespickten Landstraße vor Baku ausgesucht und mitgenommen hatte und roch kilometerweit gegen den Wind nach teurem Champagner und Angie, die von dem dürren Gestell in ihren Armen ganz verzückt war, erklärte mir, dass sie bei dem Anblick des Häufchen Elends nicht anders gekonnt hatte, als meinen jetzigen Adoptivsohn und Schützling in ihre Familie umzuadoptieren. Sie schilderte mir das äußerst gefühlvoll und betonte mehrmals, dass sie einfach ein zu großes Herz habe und zu gütig sei und da war es dann so weit, dass ich unter all der Trauer um meine Räder und jetzt auch dem Verlust meines eigenen kleinen Azerbaijaners unter Heulkrämpfen zusammenbrach und ohnmächtig wurde.

Viele Tage später wachte ich in der wohlbekannten Heimat, in meinem eigenen Himmelbett wieder auf, als Henry ein großes Tableau mit Frühstück hereinbrachte und vorsichtig die schweren, purpurroten Samtvorhänge vor den Fenstern zur Seite zog. Mein guter Freund und Leibdiener hatte es nach meinem Zusammenbruch nicht mehr ertragen, mich noch weiter in diesem widerlichen Land verkommen zu sehen und hatte eine Karawane von Kameltreibern ausfindig gemacht, mit der er mich zurück in mein liebes Mitteleuropa hatte bringen lassen. Tatsächlich roch ich auch noch ein bisschen nach Kamel, obwohl mich Henry schon mehrmals geduscht und mit dem Kärcher gereinigt hatte, doch hatte ich so bei mir die Vermutung, dass mir dieser Geruch für ewig bleiben würde, quasi als Warnung, nie wieder nach Azerbaijan, ins Land der tausend Diebe, zurückzukehren.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #1

03_LandmineLetzte Woche ist mir wieder einmal mein Fahrrad gestohlen worden. Und nicht nur einmal. Und auch nicht nur Eines. Sondern gleich zwei Räder innerhalb weniger Minuten. Und daran bin natürlich nur ich selbst schuld, denn warum borge ich denn auch jedem dahergelaufenen Penner meinen Drahtesel, wenn er mich darum bittet? Vermutlich bin ich einfach ein viel zu gutmütiger Mensch, immer in dem Glauben, sie alle würden mir meine insgesamt schon 216 gestohlenen Fahrräder irgendwann wieder zurückbringen. Doch seit kurzem habe ich eine Lösung für meine stete Radlosigkeit. Ich trage nämlich immer ein Ersatzrad auf dem Rücken mit mir herum, was die Chance, ohne Rad dazustehen folgerichtig halbiert. Außerdem lasse ich alle meine Räder mit international verfolgbaren GPS-Geräten ausstatten, die von den gemeinen Fahrraddieben jedoch immer als erstes demontiert werden, obwohl sie ganz geschickt als Klingeln getarnt sind. Trotz allem wäre ich jetzt ganz ohne Fahrrad, hätte ich nicht vorgestern Abend noch den Anruf der Polizeiinspektion Langobardenstraße 128 erhalten. Die überaus kompetenten Wachleute hatten sich nämlich meiner Sache angenommen und eine heiße Spur gefunden, die zu einem Diebesnest in Azerbaijan führte.

Von den guten Neuigkeiten ganz außer mir, ließ ich mich von Henry zu meinem Privatflugplatz kutschieren und düste mit meinem Airbus A380 schnell mal nach Baku. Mein Reiseführer, ein Azerbaijaner mit langer, gut gepflegter Haarpracht und dem außergewöhnlichen Namen Karlheinz, machte uns vor Ort mit den gängigen Manieren und Verhaltensweisen vertraut. So, und das wusste ich zuvor natürlich nicht, gilt es in der Bevölkerung als Unart, ein angekettetes Fahrrad nicht zu stehlen. Der Ostländer verspürt nämlich von Geburt an den starken Drang, Ketten und überhaupt alle Dinge, die irgendwo festgemacht oder im Besitz einer anderen Person sind, zu stehlen. So gibt es in Azerbaijan etwa eine regionale Zugverbindung, jedoch keine Gleise und Schienen mehr. Und man erzählt sich, dass das Auto des Präsidenten einmal so lange „auseinandergefladert“ wurde, bis nur noch die Bereifung da war, auf der er dann jeden Morgen, gleich einem Einrad, in die Arbeit fahren musste. Deshalb war auch die Landung mit dem Airbus etwas holprig gewesen, da der Asphalt der Landebahn und überhaupt der ganze Flugplatz gestohlen worden waren. Und die vielleicht kurioseste aller Geschichten: In Azerbaijan, dem verkehrten China, wie man es aufgrund dieses Brauches auch nennt, ist es per Gesetz Pflicht, sich bei der Begrüßung gegenseitig ins Gesicht zu spucken.

Man will es nicht glauben, aber auf der Fahrt von dem Wald, in dem wir gelandet waren zum besten 10* Hotel Bakus, haben uns so ein paar Fladeranten den ganzen Maybach gestohlen. Und das während wir fuhren. Die flinken Finger der Azerbaijaner nahmen sich als erstes die Karosserie vor und erst als sie bei einer Kreuzung den Motor auszubauen begannen, fiel mir auf, dass es in der Limousine etwas zugig geworden war und ließ Henry ein paar dieser wilden Eingeborenen mit ihren eigenen Giftpfeilen erschießen. Nichtsdestotrotz standen wir schon 100 Meter weiter ganz ohne fahrbaren Untersatz mitten in einem kleinen Dorf nur wenige Kilometer außerhalb Bakus. Henry traf zwei weitere Diebe bei ihrem Fluchtversuch mit den Giftpfeilen genau zwischen die Augen und so konnten wir sie verhören und sie fragen, ob sie wussten, wo meine Fahrräder waren, während sie langsam ihrem Tod entgegensiechten. Karlheinz, der für uns übersetzte, ließ mich wissen, dass die beiden eigentlich Musiker und nur für den Eurovision Songcontest nach Baku gereist waren, dort aber schon während der Vorausscheidung offensichtlich schlechteren Darbietungen Platz machen mussten und sich jetzt ihre Brötchen als Straßenmusikanten und mit dem Stehlen von Autos und Fahrrädern verdienten. Von meinem Fahrrad wussten sie jedoch nichts und so ließen wir sie in der Gosse liegen und machten uns auf den Weg in die Hauptstadt.

Als ich schon nach wenigen Minuten nicht mehr laufen konnte, nahm mich Henry Huckepack und Karlheinz begann ein azerbaijanisches Volkslied zu singen, um mich ein wenig aufzuheitern. Meine Stimmung war im Allgemeinen recht miserabel, da wir doch extra die Reise hierher unternommen hatten, um meine Fahrräder wieder zu finden, und sie wurde auch nicht besser als uns auf einer schmalen, mit Landminen gepflasterten Straße ein Haufen Kinder entgegen gelaufen kam, die uns um Essen anflehten. Immer wieder riefen sie „Trick or Treat“, bespuckten uns und sprangen an Henry und Karlheinz hoch und versuchten mit ihren kleinen abgemagerten Fingerchen auf sich aufmerksam zu machen und ab und zu stolperte auch eines von ihnen in eine der Minen und wurde unter ohrenbetäubendem Lärm in tausend Einzelteile zerfetzt und über die umliegenden Felder verteilt. Anfangs versuchte ich noch, das Gejammer zu überhören, doch irgendwann konnte auch ich dem Wahnsinn nicht mehr mit trockenen Augen entgegenblicken und mein Mitleid wurde letztendlich so groß, dass ich mich entschloss, zumindest einem der Fratzen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und nachdem es nicht ganz einfach war, aus dem Rudel von Knochen und Haut das ärmste der Kinder herauszusuchen, entschloss ich mich, abzuwarten, wer bis zum Ende durchhielt und nicht so blöd war, in einer der Landminen zu steigen.

Kurz vor den Toren Bakus kristallisierte sich dann schon langsam heraus, wer diesen kleinen, von mir ins Leben gerufenen, Contest gewinnen würde und tatschlich schaffte es einzig der kleine Junge, dem ich den Namen Willi gegeben hatte, zu überleben. Er war von Anfang an so eine Art Geheimfavorit für mich gewesen und so adoptierte ich ihn auf der Stelle und ließ ihn von Karlheinz bis in die große Hauptstadt tragen. In dem Viergespann kletterten wir noch in dieser Nacht über die Mauern der Stadt und fanden Unterschlupf in einer Fabrik, in der aus gestohlenen Autoteilen neue Autos gebastelt wurden. Dort fanden wir auch die Autositze meines Maybach wieder und verbrachten darauf den Rest der Nacht.

MEIN FERNSEHER UND ICH

02_Fernseher_optimiertGestern habe ich endlich wieder einmal ferngeschaut. Ich wusste am Abend einfach nichts Besseres zu tun und als ich so im Wohnzimmer am Eisbärenfell vorm Kamin stand und gelangweilt vor mich hinüberlegte, ob ich lieber den 1734 oder den 1492 Portwein knacken sollte, da schob sich das Fernsehgerät in mein Blickfeld. Obwohl es ohnehin nicht leicht zu übersehen ist, denn mit einer diagonalen Spannweite von 27 Metern füllt es doch knapp eine ganze Zimmerwand aus. Und da ich zur Abwechslung einmal nicht auf ein Charity-Event, eine Gala, einen Ball oder anderes VIP-Getümmel eingeladen war, ließ ich mir von Henry die Fernbedienung am Silbertableau bringen und hievte meinen fetten Arsch mit einem gekonnten Hechtsprung auf das B&B Italia Sofa. Henry, mein Haushälter und Butler, war so freundlich das Gerät auch gleich einzuschalten und mir dann die Füße zu massieren. Was täte ich nur ohne Henry?

Nun ist es aber nicht ganz ohne Grund, dass ich so lange dem Flimmerkasten abgeschworen hatte: Vor mehreren Monaten nämlich, es war ein Sonntag und so gegen Mittag, läuteten auf einmal zwei Herren im Anzug bei mir zu Hause an. Sie hatten ein kleines Büchlein bei sich, in dem wohl wichtige Worte geschrieben standen und auf ihr höfliches Bitten hin, ließ Henry sie eintreten. Ich war noch im Morgenmantel und empfing sie im Vorraum auf der Chaiselongue Edwards. Bei Jasmintee und Blaubeerkuchen erklärten sie mir dann, dass ich unbedingt allem Schlechten abschwören müsse – so auch dem Fernsehen. Denn im Fernseher, da wohne der Teufel. Viel mehr noch sei der Apparat, so argumentierten sie fachlich und logisch, ein Werkzeug des Teufels, das ausschließlich zur Manipulation der Menschheit diene. Des Weiteren dürfe ich, beim Akt und auch so im Alltag, keine Kondome mehr tragen und müsse ihrem Verein viel Geld spenden.

Nun haben die Spendenchecks meinem wohlgenährten Börserl nichts ausgemacht, doch die vielen Abtreibungen, die ich all den 15-jährigen Mädels zahlen musste, die ich so dann und wann entjungfert und geschwängert hatte, waren nicht steuerlich absetzbar und so verwarf  ich die schnöden Glaubensätze, legte mir eine 100 Stück Packung hauchdünne Verhüterli zu und erlaubte es mir, wieder mal zu glotzen bis der Arzt kommt. Und wie ich so durch die Kanäle zappe und nicht recht ein passables Programm zu finden ist, bleibe ich eben beim Fußball hängen und lasse mich von 22 durchtrainierten Körpern in farbigen Kostümen und einem runden, bunt bemalten Ball begeistern. Was den Römern Brot und Spiele waren, das ist dem Wiener Bier und Fußball, so sinniere ich vor mich hin, als plötzlich eine Sturzszene immer und immer wieder gezeigt wird. Und wie ich mir noch überlege, was denn während der Wiederholungen tatsächlich am Spielfeld passiert und ob die Kicker sich währenddessen vielleicht ein Kebab kaufen gehen oder eine Tschick anrauchen, bemerke ich plötzlich, dass sich die Sportler in Balletttänzer und das Stadion in die Wiener Staatsoper verwandelt haben. Nicht ein Fußballmatch, sondern die Wiederholung der Live-Übertragung des Opernballs 2009 hat man mir vorgesetzt. Und das brauche ich nun wirklich nicht.

Also lasse ich Henry den Sender wechseln und bin dann bei der Live-Übertragung des 40. Life-Balls vor dem neuen Wiener Rathaus. Die Ansprache des frisch geouteten Bürgermeister-Kanzler Strachèe ist schon vorüber, als Gery Keszler in seinem schwebenden Hover-Rollstuhl auf die Bühne saust, um den Crystal-Meth Award ein paar abgemagerten Models zu verleihen. Die glücklichen Gewinnerinnen machen einen Stagedive in die tobende Menge und zerbrechen dabei in tausend Scherben. Doch auf der Bühne geht’s schon weiter und Michael Jackson wird von zwei Bühnenarbeitern in einem gläsernen Sarg auf die Bühne getragen und neben dem Mikrofon postiert. Mühevoll zerren sie seinen Kadaver aus dem Glaskasten und vom einen Ende der Bühne ans andere, wobei die Puppenspieler auf den Schnürböden ihr Übriges tun, um dem toten Popstar noch ein paar hippe Moves zu entlocken. Als die Playback-Version von They Don’t Care About Us dann fertig abgespielt und die zerfledderte Leiche von Michael wieder zusammengekehrt ist, zeigt man die Modenschau des ersten blinden Designers der Welt. Die Kleidungsstücke sind den Umständen entsprechend hässlich, doch Gery Keszler verleiht auch ihm einen Award. Und als der blinde Designer, mit der schicken Sonnenbrille auf der Nase, die Bühne verlassen will, stürzt er über den liegen gelassenen Glitzerhandschuh des King of Pop und fällt in den Orchestergraben, wo er im Mundstück einer Tuba landet und darin verschwindet. Gery Keszler will ihm gerade noch nachfliegen und ihn retten, da saugt sein Hoverstuhl den Handschuh ein und es gibt eine riesige Explosion…

In dem Moment wache ich schweiß- und blutgebadet auf dem Sofa auf. Alles nur ein Alptraum, vermutlich von den Teufeln im Fernseher heraufbeschworen. Henry, von meinen verzweifelten Schreien im Schlaf geweckt, eilt herbei und sieht das Schlamassel. Und es stellt sich heraus, dass ich mir zwar verkrampft auf die Lippen gebissen hatte, die roten Flecken auf meinem Morgenmantel aber vom verschütteten Portwein herrührten. Zu müde zum Gehen, schultert er mich und trägt mich hinauf in den ersten Stock ins Badezimmer, wo er mir die Zähne putzt und mein schütteres Haupthaar durchkämmt. Dann legt er mich behutsam in die weichen Federn meines Himmelbettes und singt mir ein beruhigendes Schlaflied.