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BEGAFFT UND BEGATTET
Geschätzte Leserinnen und Leser!
Ich habe mich leider entscheiden müssen, Sie mit der Publikation des Artikels „Ich, der Doktor“ noch ein wenig hinzuhalten, da einige wichtige Passagen des Textes kurz nach der Fertigstellung vom gemeinen Lesewurm verspeist wurden, der manchmal hier sein Unwesen treibt. Normalerweise sperrt Henry die, auf meiner Schreibmaschine verfassten, Manuskripte immer sofort in unseren hermetisch abgeriegelten Safe, wo das Ungeziefer keine Chance hat, meine Arbeit zu zerstören, doch auch der gute Henry wird langsam vergesslich und in meinem aufgewühlten Zustand war es mir bislang nicht möglich, mich mit der Korrektur des zerstückelten Artikels zu beschäftigen. Insofern wünsche ich viel Vergnügen mit einem Auszug aus meiner Autobiografie „Begafft und Begattet“ erschienen im Jahr 2004 und erhältlich bei allen OMV Tankstellen und ausgewählten Partnern der BP-Group.
Band 1 von 27 – Kapitel 1: Genesis
Meine Geschichte hat ja schon einmal einen recht unglücklich Anfang genommen, als sich der Storch, der mich zu Hause in Wien abliefern sollte, entscheiden hatte, nicht den weiten Weg in den Norden zu nehmen, sondern bei einem burgenländischen Heurigen einzukehren und mich kurzerhand dorthin mitgenommen hatte. Während sich also das faule Federvieh einen hinter die Binde kippte, lag ich, knappe 40 cm groß und nur mit einem luftigen Leinentuch bekleidet, auf dem kalten Erdboden hinter der Ausschank und verfasste in mitten des Trubels der mich umgebenden Saufgesellschaft mein erstes und bis heute meistrezitiertes Gedicht mit dem zugegebenermaßen etwas unglücklich gewählten Titel „Jetzt schlägt es dreizehn“. Der vierzeilige siamesische Hexameter mit doppelt geflochtener Zäsurenspiegelung beschrieb auf sehr gefühlvolle Weise die Geburt und den Niedergang eines in einer Seitengasse der Milchstraße vergessenen Sterns, der einst dem Gestirn der Pendeluhr zugehört hatte und den klingenden Namen Xmirgz III trug und gab dem Publikum, wo immer auf der Welt das Gedicht auch aufgesagt wurde, durch diese subtile Metapher einen Hauch der Ahnung der Einsamkeit, die ich beim Verfassen der Zeilen empfand. Zu allem Übel jedoch wurde der Holztresen, in den ich mit ein paar Glasscherben, die auf mich herunter geregnet waren meine erste Schöpfung graviert hatte, nur wenige Jahre später von einem amerikanischen Hypermilliardär, der kostenbaren Inschrift unwissend, bei einer Weinverkostung und anschließender Auktion zu dem lächerlichen Gegenwert von zweieinhalb asiatischen Wasserbüffeln, auch Bubalus Bubalis genannt, ersteigert.
Der damalige Besitzer der Bar, ein im Grunde gewiefter Winzer aus dem nördlichen Südburgenland mit einem abartigen Fetisch für seltene Haustiere, hatte nicht nur den Tresen, sondern sein ganzes Hab und Gut für die domestizierten Wasserbüffel hergegeben, die sich fortan in seine Sammlung, bestehend aus zwei Zentauren, dem letzten Einhorn und vierundzwanzig australischen Kakadus, die auf Zuruf vierstimmig die Internationale singen konnten, einreihten. Herr Traubenklauber, der Winzer, der sich mit seinem tierischen Gefolge Richtung Wien aufmachte, um dort Zirkusdirektor zu werden, starb jedoch schon kurze Zeit nachdem er seine letzte Errungenschaft gemacht hatte, in einem Straßengraben nahe Wiener Neustadt an einem äußerst tückischen Schnupfen, den die Büffel auf ihn übertragen hatten, wie er in seinen Jahre später aufgetauchten Memoiren den Teil der Welt, der daran Interesse hegte, wissen ließ. Sein bis dahin unerklärtes Dahinscheiden hatte tatsächlich eine Vielzahl von Menschen fasziniert und sogar zur Gründung mehrerer Sekten geführt, die sich mit dem Erscheinen des Werkes und ob der Schande über den tatsächlichen Hergang seines Ablebens schlagartig auflösten oder sich einen neuen Götzen schufen und so gab es auch niemanden mehr, der die Pilgerfahrten Richtung Wiener Neustadt, zu dem berühmten Straßengraben, machte.
Der glückliche Ersteigerer des Tresens, der nebenbei auch noch seine kranken Wasserbüffel losgeworden war, wurde der Gravur auf dem Holzmöbel erst viele Dekaden später gewahr, als er während der Feierlichkeiten anlässlich seines 60. Geburtstages beinahe an den übergroßen Goldplättchen in seinem Kaviar-Sekt-Mischgetränk erstickte und unter heftigen Zuckungen direkt neben dem Tresen zu liegen kam, wo ihm exakt jene Stelle in den Blick geriet, die ich einst mit meinen Versen geziert hatte. Doch diese Geschehnisse lagen alle noch in weit entfernter Zukunft, als ich meine ersten Stunden hinter der Ausschank verbrachte und in den berauschenden Genuss des passiven Alkoholismus kam. Mein Rabenvater, der betrunkene Storch, hatte sich schon mehrmals übergeben und war letzten Endes nicht mehr fähig gewesen, mich bis nach Hause zu fliegen und so schleifte er mich, mein Leintuch im Schnabel, heftig torkelnd bis zu seinem Heimatnest, hoch oben auf einem schilfgedeckten Dach am Rande des Neusiedlersees.