EINE ADVENTGESCHICHTE

13_MathildeMerry Christmast! Singt auch bei uns daheim jener Teil der Sängerknaben, der nicht ständig auf Welttournee ist. Aber nicht aus dem Radio, wie bei Ihnen daheim, werte Leserin, werter Leser, sondern live. Im Wohnzimmer! In einem kleinen Eck meines dreihundert Quadratmeter großen Untertagesaufenthaltsraumes, hinter den vielen ausgestopften Elefanten und Einhörnern, die sich in meine Sammlung einreihen, stehen sie, die dreihundert jungen Knaben, kurz vor der Pubertät, auf dem kleinen Podest, das Henry für sie eigenhändig gezimmert hat, dicht aneinander gedrängt und trällern mit ihren fröhlichen Stimmchen einen Weihnachtsklassiker nach dem anderen. 24 Stunden am Tag stehen sie da und singen und strapazieren ihre kleinen Stimmbänder, sodass manchmal ein Herr vom Werk kommen muss, um den teilweise nur noch krächzenden Burschen, die Stimmbänder zu tauschen.

Doch, lang ausgestreckt auf meiner Chaiselongue liegend, bekomme ich davon eigentlich nicht viel mit, als wieder einmal das Telefon klingelt. Henry stürzt, den alten Apparat im Arm, durch die Tripeltür herein, stolpert über einen ausgestopften Makaken und schmeißt den Hörer gerade noch so in meine Richtung, dass er perfekt in meiner rechten Hand zu liegen kommt.

Es ist der Herr Aiderbichl, vom Gut Eiderbichl. Er ruft an, weil es um meine zehn Gänse geht, die ich für das diesjährige Weihnachtsmahl habe mästen lassen. Jaja, das ganze Jahr über lasse ich mich alle zwei Monate einmal am Gut blicken, um nach dem Wohl der Mastgänse zu sehen und stopfe ihnen dann selbst noch einmal ein bisschen was vom Genmais in ihre ohnehin überreizten kleinen Hälschen. Herr Eiterbichl meldet, dass sich eine der Gänse, Mathilde, selbst das Leben genommen hat. Es ist tragisch, aber es ist so. Und sie ist nicht die erste. Und wird vielleicht auch nicht die letzte bleiben.

Die Gänslein fürchten sich nicht etwa vor ihrem unausweichlichen Schicksal, nämlich von meinen amateurhaften Tranchierkünsten einmal in ihre knusprig überbackenen Einzelteile zerlegt zu werden, nein!, sie sind schon so an das Gemästetwerden gewöhnt, dass sie, wenn sie einmal eine Minute lang nichts mehr zu Futtern bekommen, anfangen sich selbst aufzufressen. Übrig bleibt dann so ein großer Ballen aus Fett, Fleisch und Federn. Und sowas will man seinen Gästen am Heiligen Abend wirklich nicht vorsetzen. Also erteile ich Herrn Eiterpichl via Telefon den Befehl, die tote Gans an die anderen zu verfüttern. Dann war das Mästen von Mathilde wenigstens nicht ganz umsonst.

Er tröstet mich und meint, den anderen Gänsen, Berta, Frieda, Franz und wie sie alle heißen, ginge es gut – sie gedeihen prächtig. Berta, die mittlerweile dreihundert Kilogramm auf die Brückenwaage bringt, hätte sogar kleine Küklein geboren. Küken von der Größe fast ausgewachsener Stiere. Tatsächlich geben wir den Küken, wenn keine Kühe mehr da sind, manchmal junge Kälber und hin und wieder einen Stier zu fressen. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ein bisschen traurig von der Nachricht, schmeiße ich Henry den Hörer an den Kopf, doch er fängt ihn gekonnt auf, während er sich noch immer aus der Umklammerung des toten Makaken zu befreien versucht und serviert mir nur kurze Zeit später ein saftiges Gänseleberpastetensandwich. In einem kleinen Schälchen neben dem Teller auf dem Platintablett, auf dem Henry alles so liebevoll angerichtet hat, liegt ein goldgeprägtes Kärtchen auf dem steht: „Sehr geehrter Herr Doktor! Noch während wir telefonierten, habe ich Ihnen ein Stückchen von Mathilde vorbeibringen lassen, damit Sie Sich von der Qualität unserer zarten Tierchen selbst überzeugen können.“

Schnell ist er, der Herr Eiterpickl, denke ich mir, klappte die beiden Weißbrotscheiben auseinander und schlecke mit einer Trauerträne auf der Wange die Pastete pur aus dem Sandwich. So hat Mathilde auch mir ihren letzten Dienst erwiesen. Wirklich eine gute Qualität!

Henry, der in letzter Zeit meinen übermäßigen Feudalismus zunehmend als abstoßend zu empfinden scheint, übergibt sich neben mir in eines der Speibsackerl, mit denen er seine Sakkotaschen präventiv ausgekleidet hat. Vielleicht werde ich mir bald einen neuen Ergebenen suchen müssen.