DAS MEER UND ICH

07_Strandkorb_optimiertAls Nichtschwimmer habe ich ja eigentlich immer schon eine besonders große Angst vor dem Meer und Wasser im Allgemeinen gehabt, doch hat mich Henry kürzlich davon überzeugt, mich auch für ein paar Tage zu den Reichen und Schönen an die weißen Sandstrände Barcelonas zu gesellen, mit dem Versprechen, er würde mir das Schwimmen beibringen. Nur wenige Flugstunden nach dieser Blitzentscheidung und einen weiteren wasserbruchgelandeten Airbus A380 weniger, lag ich auch schon in Mitten entblößter, gebräunter Oberweiten, der gute Henry, mir mit einem Palmwedel frische Luft zufächelnd, neben unserem Strandkorb. Man kennt die ansprechende, freizügige Schamlosigkeit der Spanierinnen ja vom Hörensagen, aber der Anblick, der sich mir in diesen Tagen bot, übertraf sämtliche Gerüchte und Geschichten, die mir je zu Ohren gekommen waren. Zeitweise hatte ich sogar mehr Brüste als Strand vor Augen.

Sich an der weiblichen Vollkommenheit satt gesehen habend, drängte mich Henry schon bald, die ersten Schritte ins doch noch frisch-kühle Meer zu machen. Der Sicherheit wegen hatte er mir Schwimmflügel, nicht Schwimmflügerl, angelegt, mit denen man quasi im Wasser fliegen konnte. Nachdem ich meine Flugangst aber erst seit einem knappen Jahr überwunden hatte, spendete mir auch dieser Umstand nicht allzu viel Trost, außerdem rieben mir die Plastikflügel die Oberarme wund. Henry, der viele Jahre hindurch britischer Staatsmeister im japanischen Schmetterlingsschwimmen gewesen war und dessen entfernter Cousin, Herbert (Bertl), Bademeister im Wiener Amalienbad war, hatte eine enge Verbindung zum Wasser und wusste wohl, wie man Kleinkindern das Schwimmen beibringen konnte, doch hatte er mit mir so seine Schwierigkeiten. Zwar hielt er mich nur am Rumpf und gab mir klare Anweisungen, doch gelang es mir immer wieder, dass mir die Badehose von den Hüften glitt und ins Meer hinaus getrieben wurde. Auf diese Weise verbrauchte ich innert drei Tagen knappe 300 Badehosen in allen Regenbogenfarben und Mustern und verschluckte mehrere Liter urinversetztes Salzwasser, als manch anderer im ganzen Leben.

Henrys unermüdliche Versuche mir den Wassersport näher zu bringen, nahmen ein jähes Ende, als er am vierten Tag unserer Reise von einem, noch nicht vollständig ausgewachsenen, viereinhalb Meter langen, Weißen Hai ins rechte Bein gebissen wurde. Der tapfere Henry wollte sich zuerst seine Schmerzen nicht anmerken lassen und so fiel mir der Haibiss auch erst auf, als wir zurück zu unserem Strandkorb gingen. Doch es kam noch schlimmer! Nicht nur, dass Henry schon im Meer stark von der Fleischwunde geblutet hatte und nach wie vor eine unübersehbare Blutspur durch den Sand zog, so hatte er offensichtlich auch vergessen, Sonnenschutz aufzutragen, nachdem er mich eingecremt hatte und war am ganzen Oberkörper so rot, wie das Blut, das in Strömen aus seinem Bein floss. Und das wohl größte aller Übel: Eine paar flinke Finger hatten mein gesamtes Hab und Gut und Henrys AfterSun-Lotion aus dem Strandkorb gestohlen und nicht einmal ein paar Hühneraugenpflaster aus meinem Necessaire zurückgelassen, mit denen ich Henrys Wunde hätte provisorisch verarzten können.

Man hatte mich ja schon vor unsere Abreise gewarnt, dass die Barcelonesen ganz hinterhältige Straßen- und Taschendiebe waren, aber dass sie ganze Strandkörbe leerraubten und so den Azerbaijanern in ihrer Flinkfingrigkeit um Nichts nachstanden, verstörte mich auf ein Neues. Einzig mein AMEX Black Card Emergency Service konnte uns in dieser Situation noch helfen. Die netten Herren in Schwarz, die prompt zur Stelle waren, brachten Henry in das beste Krankenhaus Barcelonas, wo ihm vom besten Chirurgen der Welt, der sich auf Haibisse spezialisiert hatte, gleich ein neues Bein gebastelt wurde, sodass er schon wenige Stunden nach dem Vorfall wieder gehen und mir mit dem Palmwedel Schatten und frische Luft spenden konnte. Mir hatten die Anzugträger eine neue Karte überhändigt und mir in Windeseile alle verloren gegangenen Gegenstände ersetzt und nach meinen Anweisungen auch wieder im Strandkorb platziert.

Nachdem der größte Schock überstanden war, hatten wir uns am frühen Abend des darauf folgenden Tages wieder zu unserem Strandkorb begeben. Gemütlich in der Abendsonne schlummernd, von Henry mit einer Sangria Grande gesäugt werdend, fielen mir mehrere Leute auf, die verdächtig am Strand patrouillierten. Sie hatten alle einen azerbaijanischen Touch und einige von ihnen trugen Metalldetektoren, mit denen sie den Sand absuchten, während andere nur mit ihren bloßen Füßen in kleinen Quadranten den Sand nach vergessenen Wertgegenständen durchwühlten. Ich hatte nicht nur die Vermutung, nein, ich war mir sicher, dass das die Diebe waren, die mir den Urlaub vermiest hatten. Wenigstens hatten sie bei ihrer Suche kaum Glück, doch gerade das brachte mich auf die glorreiche Idee, die mir schließlich den Rest des Urlaubs versüßte. Ich ließ mir von Henry mehrere Rollen mit 10 Cent Münzen von der Bank holen und vergrub sie in regelmäßigen Abständen und verschiedenen Mustern nicht allzu tief im Sand und konnte so die diebischen Schatzgräber durch den Sand dirigieren. Mit der Zeit entbehrte jedoch auch diese Tätigkeit jeder Spannung und so ließ ich manche von ihnen bis weit hinaus ins Meer laufen, bis die Münzspur am Meeresboden abrupt ein Ende nahm, sie erkannten, dass sie schon lange unter Wasser waren und eigentlich keine Luft mehr zum Atmen hatten und kläglich ertranken.

Trotzdem ich einen rechten Spaß an dem Spiel hatte und auch viele Erfolge erzielte, wurde ich langsam aber sicher eines Umstandes gewahr, der schon bald nicht mehr zu übersehen war: Der Sand am Strand war von Tag zu Tag weniger geworden. Ab und an waren sogar große Löcher im Strand, in die die Touristen untertags hineinstolperten und aus denen man oft noch bis tief in die Nacht die Hilferufe der Unglücksraben hörte, bis sie langsam leiser wurden und die krächzenden Stimmchen irgendwann ganz verstummten. Auch einige Schatzsucher hatte ich mit Münzfährten in die Krater im Sand gelotst, doch die Frage, welche Kraft der Erde hinter diesem Sandschwinden stecken konnte, blieb ungeklärt, bis ich eines Nachts vom Lärm mehrere Schaufelbagger geweckt wurde, die tonnenweise Sand in gigantische LKWs füllten auf denen in großen blauen Buchstaben „Tel Aviv Beach“ geschrieben stand. Und nachdem die Frage unserer Heimreise ohnedies noch nicht geklärt war, nahmen uns die Sanddiebe, auf mein nettes Bitten hin, hinten auf ihren Ladeflächen, mit nach Hause, in mein viel geliebtes Wien.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #3

05_Gestänge_optimiert Es war einfach unvorstellbar, was sich in der Kristallhalle alles tat. An allen Ecken wuselte es vor Arbeitern und eine Heerschar von Sklaven, kommandiert und ausgepeitscht von geldgierigen Sklaventreibern in Anzug und Krawatte, war damit beschäftigt, Tribünen und gewaltige Bühnenkonstruktionen, ganze Container voller Lautsprecher und Equipment und natürlich die Wohnmobile der KünstlerInnen unter verschwitztem Ächzen und Stöhnen von einem Ende der Halle ans andere zu karren. Es kam uns allen so vor, als wäre ganz Baku damit beschäftigt gewesen, für das bevorstehende Event, das dem ganzen Land schlagartig aus der grassierenden Arbeitslosigkeit zu verhelfen schien, die Welt auf den Kopf zu stellen und das Unmögliche möglich zu machen. Ähnliches hatten auch wir geschafft, als wir am frühen Nachmittag die 3 Meter hohe Absperrmauer rund um das Gebiet, mithilfe einer Räuberleiter, deren Erfindung man einem ganz gewieften Azerbaijaner zusprach, überwunden hatten. Angelina, die nunmehr das fünfte Rad an unserem noch vollständigen Wagen verkörperte, wurde von den Sicherheitsleuten sofort erkannt und so hatte man uns, zu unserer eigenen Sicherheit wie es hieß, gefesselt und in Jutesäcke gestopft, in die Halle und dann in die appartementgroße Loge von Madame Jolie, oder Angie, wie wir sie nennen durften, gebracht.

Und hier saßen wir nun, in dem Luxus, den ich gewohnt war und den Willi sich in seinem vormaligen, wellblechüberdachten Drecksloch von Behausung neben dem Atomkraftwerk, dass sein Dorf verdrängt hatte, nie hätte erträumen können und genossen Kaviar und kleine Leckerbissen vom Buffet, das man vor uns aufgebaut hatte, während wir das wilde Treiben, der von hieraus ameisengroßen Wichtel, tief unten am Boden der Halle beobachteten. Angie, die großes Mitleid für Willi fühlte, hatte 50 Flaschen des teuersten Veuve Clicquot der Welt einfliegen lassen und ein livrierter Diener goss den Champagner geduldig Flasche für Flasche in eine riesige Badewanne, in der sich der kleine Stinker dann von all dem Schmutz und den schweren Schicksalsschlägen seiner bisherigen Kindheit reinwaschen durfte. Überhaupt spielte man, wie man so schön sagt, alle Stückeln für uns und als mich Henry,  dem seine kürzlich eingefangene Magendarmgrippe nach wie vor fürchterliche Schmerzen bereitete, endlich satt und zufrieden auf eines der King Size Himmelbetten in der Loge gelegt hatte, überkam mich der Wunsch, mir das Gewusel der Sklaven in der Halle genauer anzuschauen. Ich ließ meinem braven Butler einen Thermophor bringen und ihn an meiner statt in der sagenhaft großen Bettstadt zur Ruhe kommen, damit auch er sich einmal von all den Anstrengungen erholen konnte und orderte für mich und Karlheinz eine vergoldete Sänfte und vier muskulöse Träger, die uns hinunter zum Ort des Geschehens bringen sollten.

Es führte nur ein einziger sehr steiniger und stufenreicher Weg abwärts und da die, als Tagelöhner getarnten, Langfinger keine ausgebildeten Sänftenträger waren, passierte es hin und wieder, dass unser Gefährt kippte, wir beide hinauskullerten und auf dem harten, kalten Boden zu liegen kamen. Bei einem dieser Missgeschicke hatte ich das unverhoffte Glück, einen Blick in eine der anderen Logen werfen zu können und erspähte darin Wladimir Wladimirowitsch Putin und die anderen Staatsüberhäupter all jener Länder, die ins Finale des Songcontest gekommen waren, wie sie teils gemütlich, teils angespannt um einen großen Konferenztisch herumsaßen, auf dem ein riesiges Minopoly Spielbrett lag. Wladimir war gerade aufgesprungen und schrie in seltsam reinem Deutsch, er wäre nicht bereit, noch mehr Geld zu zahlen, um den russischen Teilnehmerinnen, seinen sechs Großmüttern, den Sieg zu ermöglichen. Schließlich hätte er schon fast das ganze Event durch seine Spenden finanziert und könne nicht noch mehr Steuergelder veruntreuen. Doch erst als wir wieder in die Sänfte zurück geklettert und schon fast unten angekommen waren, fiel mir auf, dass auf dem Tisch kein Spielgeld, sondern nur echte Scheine und Münzen gelegen hatten und die Spielfiguren kleine bronzene Miniaturen der echten KandidatInnen darstellten. Karlheinz hatte mir in der Zwischenzeit erzählt, dass die GewinnerInnen des Songcontest schon viele Jahre vor dem eigentlichen Ereignis feststünden und danach ausgesucht wurden, welches Land bei dem Spiel mehr Scheine auf den Tisch legte. Weiters hatte scheinbar der schwedische König aufgrund seiner Geldnot schon überlegt, seinen neugeborenen Nachkommen als Einsatz in die Runde zu werfen, als die anderen Staatschefs ihm aus Mitleid den Sieg zusprachen.

Knappe 200 Meter unter der Überdachung der gigantischen Veranstaltungshalle waren wir nun, an Knien und Ellbogen zerschunden, mitten im Getümmel und wurden durch den Sud der raunenden Sklavenarbeiter getragen, die mühselig alle Gerätschaften auf Baumstämmen durch die Gegend rollten, da es für die horizontale Bewegung großer Lasten hierzulande sichtlich noch keine andere Technik gab.  Und als ich meinen Blick gelangweilt umherschweifen ließ, entdeckte ich einen Tatbestand, der mir insgeheim und intuitiv schon seit unserer Ankunft in Azerbaijan in gewisser Weise klar gewesen war. Denn nicht aus reinem Zufall hatte uns das Schicksal auf diesen05_GelbeLichter_optimiert unwirtlichen Pfaden bis hierher geführt. Schweren Herzens musste ich feststellen, dass große Teile der Hallenkonstruktion aus den Rahmengestellen meiner 216 verschwundenen Fahrräder gebaut worden waren. Auseinandergeschnitten und wieder zusammengeschweißt, fast unkenntlich, doch für mich, dem jedes dieser Räder einem zu behütenden Kind glich, unverkennbar die meinigen. Ich sah hie und da noch einen gelben Reflektor durch das Gestänge blitzen und unter dem unsäglichen Schmerz ob des Wiedersehens mit meinen zweckentfremdeten Gäulen fast zusammenbrechend, ließ ich uns wieder in die Loge zurücktragen.

Auf halbem Weg zurück nach oben zu den Reichen und Schönen kamen uns Angie, die Willi im Arm trug und Henry, der mit schmerzverzerrtem Gesicht hinterdrein humpelte, entgegen. Der kleine Willi lachte und freute sich zum ersten Mal, seit ich ihn mir auf der minengespickten Landstraße vor Baku ausgesucht und mitgenommen hatte und roch kilometerweit gegen den Wind nach teurem Champagner und Angie, die von dem dürren Gestell in ihren Armen ganz verzückt war, erklärte mir, dass sie bei dem Anblick des Häufchen Elends nicht anders gekonnt hatte, als meinen jetzigen Adoptivsohn und Schützling in ihre Familie umzuadoptieren. Sie schilderte mir das äußerst gefühlvoll und betonte mehrmals, dass sie einfach ein zu großes Herz habe und zu gütig sei und da war es dann so weit, dass ich unter all der Trauer um meine Räder und jetzt auch dem Verlust meines eigenen kleinen Azerbaijaners unter Heulkrämpfen zusammenbrach und ohnmächtig wurde.

Viele Tage später wachte ich in der wohlbekannten Heimat, in meinem eigenen Himmelbett wieder auf, als Henry ein großes Tableau mit Frühstück hereinbrachte und vorsichtig die schweren, purpurroten Samtvorhänge vor den Fenstern zur Seite zog. Mein guter Freund und Leibdiener hatte es nach meinem Zusammenbruch nicht mehr ertragen, mich noch weiter in diesem widerlichen Land verkommen zu sehen und hatte eine Karawane von Kameltreibern ausfindig gemacht, mit der er mich zurück in mein liebes Mitteleuropa hatte bringen lassen. Tatsächlich roch ich auch noch ein bisschen nach Kamel, obwohl mich Henry schon mehrmals geduscht und mit dem Kärcher gereinigt hatte, doch hatte ich so bei mir die Vermutung, dass mir dieser Geruch für ewig bleiben würde, quasi als Warnung, nie wieder nach Azerbaijan, ins Land der tausend Diebe, zurückzukehren.

MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #1

03_LandmineLetzte Woche ist mir wieder einmal mein Fahrrad gestohlen worden. Und nicht nur einmal. Und auch nicht nur Eines. Sondern gleich zwei Räder innerhalb weniger Minuten. Und daran bin natürlich nur ich selbst schuld, denn warum borge ich denn auch jedem dahergelaufenen Penner meinen Drahtesel, wenn er mich darum bittet? Vermutlich bin ich einfach ein viel zu gutmütiger Mensch, immer in dem Glauben, sie alle würden mir meine insgesamt schon 216 gestohlenen Fahrräder irgendwann wieder zurückbringen. Doch seit kurzem habe ich eine Lösung für meine stete Radlosigkeit. Ich trage nämlich immer ein Ersatzrad auf dem Rücken mit mir herum, was die Chance, ohne Rad dazustehen folgerichtig halbiert. Außerdem lasse ich alle meine Räder mit international verfolgbaren GPS-Geräten ausstatten, die von den gemeinen Fahrraddieben jedoch immer als erstes demontiert werden, obwohl sie ganz geschickt als Klingeln getarnt sind. Trotz allem wäre ich jetzt ganz ohne Fahrrad, hätte ich nicht vorgestern Abend noch den Anruf der Polizeiinspektion Langobardenstraße 128 erhalten. Die überaus kompetenten Wachleute hatten sich nämlich meiner Sache angenommen und eine heiße Spur gefunden, die zu einem Diebesnest in Azerbaijan führte.

Von den guten Neuigkeiten ganz außer mir, ließ ich mich von Henry zu meinem Privatflugplatz kutschieren und düste mit meinem Airbus A380 schnell mal nach Baku. Mein Reiseführer, ein Azerbaijaner mit langer, gut gepflegter Haarpracht und dem außergewöhnlichen Namen Karlheinz, machte uns vor Ort mit den gängigen Manieren und Verhaltensweisen vertraut. So, und das wusste ich zuvor natürlich nicht, gilt es in der Bevölkerung als Unart, ein angekettetes Fahrrad nicht zu stehlen. Der Ostländer verspürt nämlich von Geburt an den starken Drang, Ketten und überhaupt alle Dinge, die irgendwo festgemacht oder im Besitz einer anderen Person sind, zu stehlen. So gibt es in Azerbaijan etwa eine regionale Zugverbindung, jedoch keine Gleise und Schienen mehr. Und man erzählt sich, dass das Auto des Präsidenten einmal so lange „auseinandergefladert“ wurde, bis nur noch die Bereifung da war, auf der er dann jeden Morgen, gleich einem Einrad, in die Arbeit fahren musste. Deshalb war auch die Landung mit dem Airbus etwas holprig gewesen, da der Asphalt der Landebahn und überhaupt der ganze Flugplatz gestohlen worden waren. Und die vielleicht kurioseste aller Geschichten: In Azerbaijan, dem verkehrten China, wie man es aufgrund dieses Brauches auch nennt, ist es per Gesetz Pflicht, sich bei der Begrüßung gegenseitig ins Gesicht zu spucken.

Man will es nicht glauben, aber auf der Fahrt von dem Wald, in dem wir gelandet waren zum besten 10* Hotel Bakus, haben uns so ein paar Fladeranten den ganzen Maybach gestohlen. Und das während wir fuhren. Die flinken Finger der Azerbaijaner nahmen sich als erstes die Karosserie vor und erst als sie bei einer Kreuzung den Motor auszubauen begannen, fiel mir auf, dass es in der Limousine etwas zugig geworden war und ließ Henry ein paar dieser wilden Eingeborenen mit ihren eigenen Giftpfeilen erschießen. Nichtsdestotrotz standen wir schon 100 Meter weiter ganz ohne fahrbaren Untersatz mitten in einem kleinen Dorf nur wenige Kilometer außerhalb Bakus. Henry traf zwei weitere Diebe bei ihrem Fluchtversuch mit den Giftpfeilen genau zwischen die Augen und so konnten wir sie verhören und sie fragen, ob sie wussten, wo meine Fahrräder waren, während sie langsam ihrem Tod entgegensiechten. Karlheinz, der für uns übersetzte, ließ mich wissen, dass die beiden eigentlich Musiker und nur für den Eurovision Songcontest nach Baku gereist waren, dort aber schon während der Vorausscheidung offensichtlich schlechteren Darbietungen Platz machen mussten und sich jetzt ihre Brötchen als Straßenmusikanten und mit dem Stehlen von Autos und Fahrrädern verdienten. Von meinem Fahrrad wussten sie jedoch nichts und so ließen wir sie in der Gosse liegen und machten uns auf den Weg in die Hauptstadt.

Als ich schon nach wenigen Minuten nicht mehr laufen konnte, nahm mich Henry Huckepack und Karlheinz begann ein azerbaijanisches Volkslied zu singen, um mich ein wenig aufzuheitern. Meine Stimmung war im Allgemeinen recht miserabel, da wir doch extra die Reise hierher unternommen hatten, um meine Fahrräder wieder zu finden, und sie wurde auch nicht besser als uns auf einer schmalen, mit Landminen gepflasterten Straße ein Haufen Kinder entgegen gelaufen kam, die uns um Essen anflehten. Immer wieder riefen sie „Trick or Treat“, bespuckten uns und sprangen an Henry und Karlheinz hoch und versuchten mit ihren kleinen abgemagerten Fingerchen auf sich aufmerksam zu machen und ab und zu stolperte auch eines von ihnen in eine der Minen und wurde unter ohrenbetäubendem Lärm in tausend Einzelteile zerfetzt und über die umliegenden Felder verteilt. Anfangs versuchte ich noch, das Gejammer zu überhören, doch irgendwann konnte auch ich dem Wahnsinn nicht mehr mit trockenen Augen entgegenblicken und mein Mitleid wurde letztendlich so groß, dass ich mich entschloss, zumindest einem der Fratzen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und nachdem es nicht ganz einfach war, aus dem Rudel von Knochen und Haut das ärmste der Kinder herauszusuchen, entschloss ich mich, abzuwarten, wer bis zum Ende durchhielt und nicht so blöd war, in einer der Landminen zu steigen.

Kurz vor den Toren Bakus kristallisierte sich dann schon langsam heraus, wer diesen kleinen, von mir ins Leben gerufenen, Contest gewinnen würde und tatschlich schaffte es einzig der kleine Junge, dem ich den Namen Willi gegeben hatte, zu überleben. Er war von Anfang an so eine Art Geheimfavorit für mich gewesen und so adoptierte ich ihn auf der Stelle und ließ ihn von Karlheinz bis in die große Hauptstadt tragen. In dem Viergespann kletterten wir noch in dieser Nacht über die Mauern der Stadt und fanden Unterschlupf in einer Fabrik, in der aus gestohlenen Autoteilen neue Autos gebastelt wurden. Dort fanden wir auch die Autositze meines Maybach wieder und verbrachten darauf den Rest der Nacht.