MEINE FAHRRÄDER IN AZERBAIJAN #1

03_LandmineLetzte Woche ist mir wieder einmal mein Fahrrad gestohlen worden. Und nicht nur einmal. Und auch nicht nur Eines. Sondern gleich zwei Räder innerhalb weniger Minuten. Und daran bin natürlich nur ich selbst schuld, denn warum borge ich denn auch jedem dahergelaufenen Penner meinen Drahtesel, wenn er mich darum bittet? Vermutlich bin ich einfach ein viel zu gutmütiger Mensch, immer in dem Glauben, sie alle würden mir meine insgesamt schon 216 gestohlenen Fahrräder irgendwann wieder zurückbringen. Doch seit kurzem habe ich eine Lösung für meine stete Radlosigkeit. Ich trage nämlich immer ein Ersatzrad auf dem Rücken mit mir herum, was die Chance, ohne Rad dazustehen folgerichtig halbiert. Außerdem lasse ich alle meine Räder mit international verfolgbaren GPS-Geräten ausstatten, die von den gemeinen Fahrraddieben jedoch immer als erstes demontiert werden, obwohl sie ganz geschickt als Klingeln getarnt sind. Trotz allem wäre ich jetzt ganz ohne Fahrrad, hätte ich nicht vorgestern Abend noch den Anruf der Polizeiinspektion Langobardenstraße 128 erhalten. Die überaus kompetenten Wachleute hatten sich nämlich meiner Sache angenommen und eine heiße Spur gefunden, die zu einem Diebesnest in Azerbaijan führte.

Von den guten Neuigkeiten ganz außer mir, ließ ich mich von Henry zu meinem Privatflugplatz kutschieren und düste mit meinem Airbus A380 schnell mal nach Baku. Mein Reiseführer, ein Azerbaijaner mit langer, gut gepflegter Haarpracht und dem außergewöhnlichen Namen Karlheinz, machte uns vor Ort mit den gängigen Manieren und Verhaltensweisen vertraut. So, und das wusste ich zuvor natürlich nicht, gilt es in der Bevölkerung als Unart, ein angekettetes Fahrrad nicht zu stehlen. Der Ostländer verspürt nämlich von Geburt an den starken Drang, Ketten und überhaupt alle Dinge, die irgendwo festgemacht oder im Besitz einer anderen Person sind, zu stehlen. So gibt es in Azerbaijan etwa eine regionale Zugverbindung, jedoch keine Gleise und Schienen mehr. Und man erzählt sich, dass das Auto des Präsidenten einmal so lange „auseinandergefladert“ wurde, bis nur noch die Bereifung da war, auf der er dann jeden Morgen, gleich einem Einrad, in die Arbeit fahren musste. Deshalb war auch die Landung mit dem Airbus etwas holprig gewesen, da der Asphalt der Landebahn und überhaupt der ganze Flugplatz gestohlen worden waren. Und die vielleicht kurioseste aller Geschichten: In Azerbaijan, dem verkehrten China, wie man es aufgrund dieses Brauches auch nennt, ist es per Gesetz Pflicht, sich bei der Begrüßung gegenseitig ins Gesicht zu spucken.

Man will es nicht glauben, aber auf der Fahrt von dem Wald, in dem wir gelandet waren zum besten 10* Hotel Bakus, haben uns so ein paar Fladeranten den ganzen Maybach gestohlen. Und das während wir fuhren. Die flinken Finger der Azerbaijaner nahmen sich als erstes die Karosserie vor und erst als sie bei einer Kreuzung den Motor auszubauen begannen, fiel mir auf, dass es in der Limousine etwas zugig geworden war und ließ Henry ein paar dieser wilden Eingeborenen mit ihren eigenen Giftpfeilen erschießen. Nichtsdestotrotz standen wir schon 100 Meter weiter ganz ohne fahrbaren Untersatz mitten in einem kleinen Dorf nur wenige Kilometer außerhalb Bakus. Henry traf zwei weitere Diebe bei ihrem Fluchtversuch mit den Giftpfeilen genau zwischen die Augen und so konnten wir sie verhören und sie fragen, ob sie wussten, wo meine Fahrräder waren, während sie langsam ihrem Tod entgegensiechten. Karlheinz, der für uns übersetzte, ließ mich wissen, dass die beiden eigentlich Musiker und nur für den Eurovision Songcontest nach Baku gereist waren, dort aber schon während der Vorausscheidung offensichtlich schlechteren Darbietungen Platz machen mussten und sich jetzt ihre Brötchen als Straßenmusikanten und mit dem Stehlen von Autos und Fahrrädern verdienten. Von meinem Fahrrad wussten sie jedoch nichts und so ließen wir sie in der Gosse liegen und machten uns auf den Weg in die Hauptstadt.

Als ich schon nach wenigen Minuten nicht mehr laufen konnte, nahm mich Henry Huckepack und Karlheinz begann ein azerbaijanisches Volkslied zu singen, um mich ein wenig aufzuheitern. Meine Stimmung war im Allgemeinen recht miserabel, da wir doch extra die Reise hierher unternommen hatten, um meine Fahrräder wieder zu finden, und sie wurde auch nicht besser als uns auf einer schmalen, mit Landminen gepflasterten Straße ein Haufen Kinder entgegen gelaufen kam, die uns um Essen anflehten. Immer wieder riefen sie „Trick or Treat“, bespuckten uns und sprangen an Henry und Karlheinz hoch und versuchten mit ihren kleinen abgemagerten Fingerchen auf sich aufmerksam zu machen und ab und zu stolperte auch eines von ihnen in eine der Minen und wurde unter ohrenbetäubendem Lärm in tausend Einzelteile zerfetzt und über die umliegenden Felder verteilt. Anfangs versuchte ich noch, das Gejammer zu überhören, doch irgendwann konnte auch ich dem Wahnsinn nicht mehr mit trockenen Augen entgegenblicken und mein Mitleid wurde letztendlich so groß, dass ich mich entschloss, zumindest einem der Fratzen ein besseres Leben zu ermöglichen. Und nachdem es nicht ganz einfach war, aus dem Rudel von Knochen und Haut das ärmste der Kinder herauszusuchen, entschloss ich mich, abzuwarten, wer bis zum Ende durchhielt und nicht so blöd war, in einer der Landminen zu steigen.

Kurz vor den Toren Bakus kristallisierte sich dann schon langsam heraus, wer diesen kleinen, von mir ins Leben gerufenen, Contest gewinnen würde und tatschlich schaffte es einzig der kleine Junge, dem ich den Namen Willi gegeben hatte, zu überleben. Er war von Anfang an so eine Art Geheimfavorit für mich gewesen und so adoptierte ich ihn auf der Stelle und ließ ihn von Karlheinz bis in die große Hauptstadt tragen. In dem Viergespann kletterten wir noch in dieser Nacht über die Mauern der Stadt und fanden Unterschlupf in einer Fabrik, in der aus gestohlenen Autoteilen neue Autos gebastelt wurden. Dort fanden wir auch die Autositze meines Maybach wieder und verbrachten darauf den Rest der Nacht.

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